Er war kein Dichter. Er konnte es nicht oft genug sagen, aber wie immer hörte keiner ordentlich zu. Er, der Erfinder des deutschen bürgerlichen Trauerspiels, einer der wenigen Heroen der Aufklärung in Deutschland, der Verfasser des Nathan, dieser Bibel der religiösen Toleranz – er sollte kein Dichter sein? Na gut, er war vielleicht keines dieser neuen jungen Genies, wie sie seit neuestem überall aus dem eher kargen deutschen Dichterboden sprossen, frühreif wie zu schnell in die Höhe geschossener Spargel oder gefährlich für die Verdauung, wie der früh und reichlich wachsende Rhabarber. Aber wenn Lessing, der große Lessing nun schreibt, er müsse alles in sich „durch Druckwerk und Röhren“ (Quellenangabe) aus sich selbst heraufpressen, seine Gefühle an fremden Feuern wärmen und sein Dichterauge durch Brillen schärfen – war das alles nicht ein wenig seltsam, nun ja, technisch gedacht? Ganz genau, hätte Lessing gesagt, genau so! Er war ein Techniker des Dramas, ein Mechaniker der Seelenregungen, ein Klempner, der verstopfte Triebleitungen öffnete, damit die Mitleidstränen endlich ungestört fließen konnte, und oh, wie flossen sie im Theater (sogar bei Männern), vor der Bühne, aber auch bei der häuslichen Lektüre!