„Der Stil, das ist der Mensch“: Das behauptete der französische Philosoph und Naturkundler Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon, in der Antrittsrede zu seinem lang ersehnten Aufnahme in den Olymp der schönen Künste und Wissenschaften, die Academie Francaise. Wie so viele goldgeprägte Worte wird auch dieses zwar gern zitiert, aber wenig verstanden. Heute wäre man sicherlich geneigt, darin das Motto der modernen Design- und Markenkultur zu erkennen: stylish hat man zu sein, und viele Menschen geben willig Zeit und Geldes, um sich so perfekt wie möglich zu stylen. Bei etwas näherem Nachdenken über diesen Sachverhalt stößt man jedoch auf eine merkwürdige, etwas beunruhigende Paradoxie: Denn wenn der Stil der Mensch ist, sollte er doch eigentlich – unverwechselbar, einmalig und vielleicht sogar: nur in Grenzen veränderlich sein, so wie das Individuum auch? Wie aber kann er sich dann den immer schnellen wechselnden Moden und Trends unterwerfen, nach denen mal Orange das neue Schwarz ist und mal Schwarz das neue Pink? Ist es etwa doch so, dass der Stil – nämlich: der Modeindustrie – den Menschen macht, und deshalb sehen auch alle zu einer bestimmten Zeit irgendwie – genauso aus, ein Muster mit nur kleinen Variationen?

Fragen wir doch Herrn Buffon. Ein Porträt zeigt ihn als einen gut situierten, im prächtigen Stil der Zeit gekleideten, älteren Herrn mit einer Neigung zu roten Pausbäckchen und Embonpoint. Die rechte Hand hat er leger in der Hosentasche versteckt, die linke greift etwas napoleonisch anmutend (Napoleon war aber noch gar nicht geboren) auf Brusthöhe in die Weste. Die seidene Weste jedoch ist ein wahrer Augenschmaus: Auf einem warmen Orange tummeln sich handgestickte exotische Blumen, ein Hauch von China weht durch den Raum; das Orange der Weste wird von den Tressen der roten Samtjacke aufgenommen, die dezent mit einem sehr feinen weißen Pelz gesäumt ist, man übersieht ihn beinahe. Die Rüschen des darunter verborgenen Hemdes ließen jede Frau zu jeder Zeit vor Neid erblassen; elegant kontrastiert dazu der priesterliche schwarze Kragen am Halsabschluss über der blütenweißen Halsbinde. Die Frisur ist, wie es sich die Männermode der Zeit vorschreibt, weiß gepudert und zum strengen Zopf gefunden; das Gesicht wohlrasiert, die dunklen Augen der Pracht der Kleidung zum Trotz aber streng und eindringlich. Wenn man Buffon so in einen der vielen Bände seiner eigenen Naturgeschichte abbilden würde, er gälte sicherlich ein Prachtexemplar des männlichen homo sapiens sapientis.

Der Stil, das ist der Mensch: Aber Buffon war unendlich mehr als ein hinreichend begütertes Mitglied des französischen Landadels im 18. Jahrhundert, das sich leisten konnte, für ein Porträt feinste Garderobe zu tragen. Vielleicht lassen das die dunklen Augen ahnen, oder die so außergewöhnlich lebendigen Pflanzen auf der Seidenweste – Produkt eines Seidenwurms, den die Naturforscher im 18. Jahrhundert mit großer Neugier untersucht und schließlich kommerziell verwertet haben. Buffon war der Inbegriff der Naturgeschichte schlechthin, einer ihrer Helden; nicht der große Systematiker, nein, das war der Schwede Linné mit seinem Kategorisierungssystem, aber Buffon war ihr Erzähler. Er erzählte die Geschichte der Natur in all ihren Erscheinungsformen, und er erzählte sie als die Geschichte einer einzigen großen Familie, einer Kette von Wesen, die sich stetig auseinander entwickelten, gelegentlich in Sackgassen gerieten und ausstarben, aber insgesamt immer weiter aufstiegen bis hin zu ihm, dem Menschen, dem homo sapiens sapientis. Daran glaubte Buffon, er glaubte an die Natur, an die Mathematik (er war ein begabter Mathematiker, von Jugend an) und an die Ordnung – also auch: an Gott als Schöpfer einer weise geordneten und ziemlich intelligent entworfenen Welt einschließlich des Menschen, deren Gesetze insofern auch für jeden halbwegs intelligenten Menschen erkennbar und nachvollziehbar sein sollten.
Was aber hat das alles nun mit Stil zu tun? Stil ist für Buffon, das führt er den staunenden Akademie-Mitgliedern aus, die wahrscheinlich auch anderes erwartet hatten, eigentlich eine Idee. Wer keinen Gedanken hat, kann auch keinen Stil haben. Content, so nennt man das heute, ist das wesentliche Ingrediement von Stil; und alles drumherum, so nett es flimmern und flittern mag, Schmuck und Seidenwesten und Pfauenfedern (hat man schon jemals gesehen, dass ein Pfau einen Gedanken hatte? Er hat ein Ziel, das wohl, aber seine Federn prunken ganz inhaltsfrei; und Buffon ist sich nicht zu schade, darauf hinzuweisen, dass der „König aller Vögel“ seine Federn jedes Jahr verliert und sich dann schämt und versteckt). Ein Stil ist für Buffon vor allem ein Denkstil, eine Art geistige Signatur. Erst denken, dann schreiben, das ist das erste Gesetz eines guten Stils; erst das Ganze durchschauen, sich seiner Ordnung vergegenwärtigen: Es hat nämlich eine, alles Seiende hat eine Ordnung, und wenn es keine hat, ist es nicht wert, dass es ist oder dass man gar darüber schreibt. Der Stil aber kommt von selbst, wenn man durchdrungen ist von einem sicheren Wissen, einer persönlichen Erkenntnis und dem Glauben an sie, der mitteilsam und eindrücklich macht. Wer allerdings nur ein Pfauenhirn hat, kann mit Pfauernfedern prunken, so viel er will; ein Spatzenhirn macht noch keine Flugschau und den gemeinen Plapperfrosch erkennt man an seinem formlosen Geplapper. Der Stil, das ist der Mensch: Er liegt in unserer Hand, er ist verfügbar, wir machen ihn; wir tragen aber auch das Risiko und die Verantwortung dafür, was er aus uns macht. Ideen jedoch kann man nicht kaufen (auch wenn sie gelegentlich aus der Mode kommen).
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