The mystery of Banksy: Natürlich wollen wir wissen, wer hinter dem Geheimnis steckt. Und am allerliebsten würde man selbst einmal einen echten Banksy entdecken, über Nacht hingetuscht in eine Ecke, wo man sonst nur Mülltonnen und Ratten vermuten würde, und auf einmal ist da ein Kunstwerk, dass einem den Atem stocken lässt und den Ort neu definiert. Und natürlich kann man Banksy deshalb eigentlich gar nicht ausstellen: Seine Kunstwerke leben von dem Ort, seiner Geschichte, seinem Problem, aber auch: seiner Ästhetik, seiner Authentizität, seinem unverwechselbaren vibe. Aber trotzdem versucht es der Kunstbetrieb, der noch jeden gefressen hat. Und wir gehen hin, trotz gemischter Gefühle, nämlich nach Stuttgart, mitten ins kommerzielle „Herz“ der schönen klassizistischen Königsgalerie, einem Shopping-Center natürlich; und damit sind wir auch schon mitten im Ort, im Problem, im vibe. Reißen wir uns zusammen, ignorieren wir die Versuchungen der bunten Konsumwelt, bezahlen wir den nicht geringen Eintrittsbetrag – nein, leider keine Garderoben! – und begeben uns durch das Tor mit dem Affen in die Welt von Banksy. Es wird, sagen wir es so: ein Emotions-Wechselbad (aber Wechselbäder sind ja bekanntlich gut für die Anregung des Gedanken-Kreislaufs)!
Der Vorwaschgang
Am Anfang steht, wie schon angedeutet, ein sehr gemischtes Gefühl: Wird die Reinheit der künstlerischen und politischen Intentionen von Banksy nicht, irgendwie, beschmutzt durch eine nur zweifelhaft autorisierte Zusammenstellung bzw. Nachbildung und Nach-Inszenierung seiner Kunstwerke? Sind sie als Street art nicht gerade nicht fürs Museum gemacht, nicht für den Konsum der bildungshungrigen Eliten, nicht für den Small-Talk von Ausstellungsgästen? Aber, andererseits: Künstler müssen ja auch leben. Der Kunstbetrieb muss leben. Wir alle brauche geistige Nahrung. Ach, es ist so schwierig, in unserer Welt der Wechselwirkungen und unerwarteten Dialektiken!
Im Hauptwaschgang
Und seht nur, dort hängt ein Bild, das wir aus den Museen kennen, Bildungsbürgerinnen, die wir sind! Es ist Vermeers berühmtes Mädchen mit dem Perlenohrring, nur, dass der Perlenohrring, ja, was denn nun: genau, eine Alarmanlage ist, gelb und eigentlich auch gar nicht unästhetisch. Hübsch, ist man geneigt zu sagen, und wissend zu lächeln. Der Mann kennt sich aus in der Kunstgeschichte! Und, apropos, Mädchen: Könnte Banksy eigentlich, lustige Idee, auch eine Frau sein? Aber dann ist er wieder so aggressiv, so obszön, so direkt. Nein, ein angry young man ohne jede Frage, auch wenn er eigentlich nicht mehr so arg jung sein kann. Wenn er eine Frau wäre, hätte er nämlich einen Mann mit einem Perlenohrring gesprayt, so!
Aber nun gut, er hat ja recht mit seiner Kritik, am Krieg in all seine Formen, am Unterdrückungsstaat, am Umgang mit Flüchtlingen, am Hunger in der Welt. Man spürt ein wenig Betroffenheit, dann zunehmende Betroffenheit, die irgendwann in Scham umschlägt. Ja, das haben wir mit der Welt angerichtet, und er zeigt es uns, mit einfachsten Mitteln. Jajaja, haec mea, nostra, omnia maxima culpa! Aber gerade wollen wir in (Selbst-)Mitleid versinken, da sehen wir einen roten Elefanten im Raum. Ja, wirklich, er ist ganz rot, über und über rot, aber er sieht aus wie ein richtiger afrikanischer Elefant, und in der ursprünglichen Installation, so lassen wir uns belehren, war es auch ein echter Elefant! Ach, ist das schön und lustig und witzig! (was nicht alles das Gleiche ist) Ach, ist das eine Wonne, wenn Kunst schön und lustig und witzig sein kann! Der Mann mit dem Spray-Gerät in der Londoner Metro auf dem Rücken: Da wäre man auch gern dabei gewesen, mitten in der Wüsten-Corona-Zeit, wie er seine Ratten verteilte, so als würde er die Wände desinfizieren! Oder das (very british) Affenparlament, eine ganze Wand voller gestikulierender Affen, wie treffend und boshaft und trotzdem – schön! Der Mann (und es ist immer noch ein Mann) hat Geschmack und einen traumhaften Schönheitssinn bei aller Wut: Kein Strich zu viel, keiner am falschen Platz und ausgewogen in der Verteilung wie ein gut gereifter Mondrian!
Dass der Kunstmarkt ihn schon fast gefressen hat – nun gut, ist das seine Schuld? Und immerhin hat er den Gag mit dem sich selbst zerstörenden Kunstwerk inszeniert, das war ein Volltreffer; auch wenn die Aktion dann dazu geführt hat, dass das zerstörte Bild bei der Auktion einen noch höheren Preis erzielte und der glückliche Besitzerwahrscheinlich die finanzielle Investition seines Lebens gemacht hat. Und zwar mit dem kaputten Bild eines politisch aufmüpfigen, alle Autoritäten destruierenden und den Konsum verachtenden Street-Art-Künstlers, laut Aussage von irgendwelchen Kunsthistorikern im Video dem bedeutendsten Künstler unserer Zeit, vergleichbar mit den ganz Großen. Ist es nicht wunderbar in unserer schönen neuen Welt der Widersprüche?
Wir gehen weiter und versuchen unsere inzwischen noch stärker durchmischten Gefühle nicht reflexiv zu sortieren, sondern ein wenig weiter wirken lassen. Dazu kommt nun ein Anflug von Scham mit einem Hauch von Fremdschämen: Die Monarchie-Kritik ist nicht nur obszön, sondern auch dumm; natürlich kann jeder auf einer durch Erbfolge weitergegebenen, von der Zeit sicherlich überholten Pseudo-Regierungsform rumhacken, aber das Lebenswerk von Individuen, die sich den Job nicht ausgesucht haben und die ihn diszipliniert und mit großer Strenge gegenüber sich selbst durchgezogen haben, in plakativem Schwarz-Weiß zu verspotten – nein, einfach nur unreif und dumm, da muss man wohl irgendwann erwachsen werden, auch wenn man ein angry young man ist und alle Welt einen liebt und Beifall klatscht! Und ja, die Polizei ist schlecht, Schweine, wir haben verstanden. Zur Scham kommt gegen Ende ein wenig Überdruss, ja auch: Langeweile. Politische Botschaft, schön und gut, nötig, zweifellos, in den meisten Fällen auch: genial situiert. Aber zu viel moralische Eindeutigkeit und breitseitige Pauschalkritik – boring. Uninspirierend. Geht das nicht eine Winzigkeit komplexer, vielschichtiger, mehrdeutiger? Vielleicht würde ein wenig Lebenserfahrung helfen?
Im Schleudergang der Reflexion
Aber dazu brauchte man ja, und das sieht man erst hinterher mit ein wenig mehr Reflexion und nach Aufdröselung der gemischten Gefühle, eine Persönlichkeit. Betroffenheit ist keine Teilnahme; es ist nur der oberflächliche kleine Bruder eines echten Austausches von Person zu Person. Es gibt aber keine Persönlichkeit in der Anonymität; es gibt nur eine intuitive Anmutung von aggressiver Männlichkeit, ewiger Jugendlichkeit-cum-Revoluzzertum und – zweifellos – gewachsenem künstlerischen Können und auch Wollen. Aber wer verbirgt sich hinter der Ratte, die wohl das ist, was einer Identifikationsfigur am nächsten käme? Kann man ein großer Künstler sein, wenn man sich – versteckt? Oder noch weiter gefragt: Kann man bedeutende Kunst machen, wenn man seine Themen immer nur aus den zeitgenössischen Katastrophen und den immerwährenden moralischen Verfehlungen anderer herauszieht, eine Art künstlerisches Schmarotzertum pflegt, das sich vom zuverlässig perennierenden Unwert der Zeit ernährt? Kann das nicht eine KI im Zweifelsfall besser (der man immer ihre Unpersönlichkeit, ihr dunkles black-box-Geheimnis vorwirft)? Was würde aus Banksy in einer perfekten – na gut: in einer möglicherweise besten aller möglichen Welten? Ist es wirklich das größte Kunststück dieser unserer künstlerischen Gegenwart, dem Mädchen mit dem Perlenohrring den Ohrring durch eine Alarmanlage zu ersetzen und Monets Garten mit Einkaufswägen zu verunzieren? Wo ist das Eigene, wo ist das Neue, wo ist das Selbst Erfahrene, Verarbeitete, Gestaltete? Leonardo hatte ein Gesicht, Mozart hatte ein Gesicht, Goethe hatte ein Gesicht. Nennt es allzu menschlich, aber: Wir sehen nicht nur mehr in der Kunst, wenn wir ein Gesicht dazu sehen; wir empfinden auch anders.
Das heißt nun nicht, dass man die Ausstellung nicht besuchen sollte, im Gegenteil: Frau sollte durchaus, und vielleicht ja auch: persönlich zu anderen Emotionen, einer anderen Gefühlsmischung und anderen Reflexionen kommen. Und zudem macht die Ausstellung – naja, ein wenig Mut zur Anarchie. Frau möchte dann gern gleich zur Spraydose greifen; draußen wird das Stuttgarter Weindorf aufgebaut, mit Holz-Imitationen und Plastikgirlanden, im Dorotheenviertel glänzt der neureiche Protz-Konsum aufdringlich vor sich hin, und es gibt so viele Stellen in der Stadt, wo man lieber grinsende Ratten oder kleine Jungens (der Abwechslung halber, und wenn Banksy eine Frau wäre) mit Luftballons sehen würde. Und außerdem hat man einen Spruch mitgenommen, von der Graffiti-Wand am Ende, wo sich jede selbst verwirklichen darf: Sei du selbst, außer du kannst ein Einhorn sein! Drunter hat eine geschrieben: Dann sei ein Einhorn! Kann man ein Einhorn und man selbst sein? Das ist die große Banksy-Frage.
Noch bis 8. Oktober in Stuttgart: https://mystery-banksy.com/
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