Eine weibliche Variante der Ringparabel Vor grauen Jahren lebte eine weise Frau im Osten,die einen Spiegel hatte von sehr großem Wert,von lieber Hand vererbt. Der Spiegel war so rein,dass jede, die hineinsah, sich erkannte,in allen ihren Eigenarten. VielzähligeKristalle zeigten jeden Fehler, jeden Vorzug;jedoch nur der, die redlich in ihn schaute,zeigte der Spiegel auch ihr ganzes […]
Mit eiskaltem Händchen das Leben ergreifen – Annette von Droste-Hülshoff vor kafkaesken Hintergrund (3)
3. Indianer in Westfalen, gesehen von einem ernsthaften Herrn Aberglauben, Volksbräuche, Spukgeschichten – das alles hat Annette interessiert, sie sammelte westfälische Geschichten wie die Brüder Grimm vermeintliche Volksmärchen, mit ihnen war sie in der Zeit der ‚Tugendprobe‘ gelegentlich zusammengekommen. Eine Zeitlang plante sie gar ein Westfalen-Projekt, von dem nur die Bruchstücke überliefert sind: Die Judenbuche […]
Der Leviathan ist eine Frau!
Eine Lektüre von Moby Dick in Corona-Zeiten Ist der Leviathan weiblich? Wenn man ein Werk der Weltliteratur lesen will, das wenigstens eine vergleichbare Größendimension hat wie Corona weltweit, dann greife man zu Moby Dick. Ja, das mit dem Wal. Von Hermann Melville, temporärer Waljäger, Weltreisender wider Willen, Strafgefangener, Meuterer und Autor; am Ende seines Lebens […]
Mit eiskaltem Händchen das Leben ergreifen – Annette von Droste-Hülshoff vor kafkaesken Hintergrund (1+2)
Am Ende hatte ich den Verdacht, sie sei die einzig wahre Vorgängerin (eine Frau! im 19. Jahrhundert! im idyllischen Biedermeier! aus Westfalen!) von Franz Kafka. Nur scheinbar schaut Annette von Droste-Hülshoff so brav gelockt von deutschen 20-Euro-Scheinen; die Nase ist ein wenig spitz, der Blick ernst, und sie scheint zu sagen: Das wäre nun wirklich […]
Die Gretchentragödie ist das wahre Trauerspiel. Frauendrama und Männerhochmut in Goethes ‚Faust‘
(vgl. zur Handlung von Goethes Trauerspiel ‚Faust‘ und dessen Entstehung die am Ende des Beitrags auszugsweise zitierten Wikipedia-Artikel https://de.wikipedia.org/wiki/Faust._Eine_Tragödie.; https://de.wikipedia.org/wiki/Susanna_Margaretha_Brandt ) „Das Kleine mir dann an die rechte Brust“ – die Gretchentragödie im ‚Faust‘ Gretchen ist, aus moderner Perspektive, nicht direkt eine emanzipierte Frau, sie ist eher das Gegenteil. In Goethes Faust, wohl dem berühmtesten […]
Olga Tokarczuk, oder: enzyklopädisches Schreiben, weiblich
Natürlich wusste ich vorher nichts von Olga Tokarczuk. Aber als dann der Name da war, und als ich mich entschlossen hatte, mich repräsentativ für ihr umfangreiches und vielfältiges Gesamtwerk auf ihr letztes und umfangreichstes Buch zu stürzen, Die Jakobsbücher; und als ich schließlich mit anfänglicher Verwirrung, zunehmender Begeisterung und schließlich großer Bewunderung die 1.200 Seiten […]
Peter Handke, oder: Schreiben ohne Netz und doppelten Boden
Hätte man mich gefragt, wer den Literatur-Nobelpreis wirklich verdient hätte, und zwar als deutsche/r Autor/in, ich hätte spontan und ohne eine Sekunde Nachdenken „Peter Handke“ gesagt (Christa Wolf ist tot, Ingeborg Bachmann ist schon lange tot, und Siri Hustvedt keine deutsche Autorin). Lassen wir dabei die unergiebigen Auseinandersetzungen über seine angeblichen politischen oder moralischen Verfehlungen […]
Der Blog am Ende des Lektüre-Universums (Schluss)
(VII) Der Mensch ist ein Wesen, das Geschichten erzählt, oder: der Blog am Ende des Lektüre-Universums Es ist also vor allem die Erzählliteratur, durch die der tiefe Graben zwischen E- und U verläuft und die zu sich stark voneinander abgrenzenden Stilhöhen neigt. Das hat die eben erwähnten strukturellen Gründe – Dramatik ist Handlung, Lyrik ist […]
Der Blog am Ende des Lektüre-Universums (III)
(V) Avantgarde und Unverständlichkeit – die Hochliteratur koppelt sich ab Im gesamten 19. Jahrhundert floriert die Unterhaltungsliteratur, sei es auf der Bühne, sei es im Roman. Da passt es gut, dass die Literaturtheorie der Zeit sich sowieso den „Realismus“ auf die Fahnen geschrieben hatte. Nachdem man die Weimarer Klassik, die Französische Revolution und die Philosophie […]
Der Blog am Ende des Lektüre-Universums (II)
(III) Der Roman betritt die Bühne und untergräbt die Hochliteratur Als die europäischen Gelehrten dann, gut tausend gemeinhin als „dunkel“ betrachtete Jahre später, daran gingen, das Wissen der Alten wieder hervorzukramen und etwas aufzufrischen, war die Situation auf dem literarischen Markt noch ziemlich entspannt. Genauer gesagt, gab es ihn nicht. Lesen konnte, bis weit ins […]