Nachtrag. So, die fünfte Staffel von The Marvelous Mrs. Maisel ist fertig. Ich habe sie zweimal gesehen, wie alle Staffeln vorher (vgl. den früheren Blog: Tits up!), und das Ende ist enttäuschend. Aber es kann nur enttäuschend sein, das weiß jede, die die großen Epen gelesen und die großen Serien gesehen hat: Je besser sie sind, desto mehr Erwartung wird aufgebaut, aber sogar das Leben selbst hat es nicht über einen langweiligen, eigentlich immergleichen Schluss herausgebracht, und Hochzeiten sind nur die Boxen-Stops des Schicksals. Aber nein, im Ernst: Midge stirbt nicht am Ende, auch wenn Lenny Bruce, wie lang geahnt, einen sehr melancholischen Abgang hinter der Bühne hat und von Joel auch nur noch ein Hochzeitsfoto geblieben ist (das aber einen Ehrenplatz hat, es ist eines der wenigen Dinge, die am Ende bleiben). Und wir spoilern auch noch nicht gleich das Ende, das kommt später; erst einmal zählen wir die Dinge auf, mit denen wir auch noch recht gehabt haben (s.o., den ersten Artikel). „Ich kann nicht alles haben“, das sagt Joels Beinahe-Zweitfrau, die kluge und strebsame Mei; und dann verlässt sie ihn, um ihren Lebenstraum zu verwirklichen und Ärztin zu werden, vorher hat sie ihr gemeinsames Kind noch abgetrieben. Es ist eine derjenigen Szenen, die frau wirklich unter die Haut gehen; einfach, weil sie so wahr sind und so traurig und so, sagen wir es ruhig: tragisch. Es ist die richtige Einsicht, aber ist es die richtige Entscheidung?
Ein anderer Moment, der von hinten her ein tragisches und gleichzeitig in der Erkenntnisschärfe fast überhelles Licht auf die Serie wirft: Midges Vater Abe, gespielt von dem grandiosen Tony Shalhoub (Monk), Columbia-Professor für Mathematik, geistreicher Theaterkritiker der Village Voice, virtuoser Pianist und – wie soll man es sagen? Er ist nicht einfach nur stolz auf seine Hochintelligenz, er ist so durch und durch von ihr durchdrungen, von seiner eigenen intellektuellen Überlegenheit, dass er sie geradezu ausdünstet, ausatmet, von ihr lebt und durch sie lebt, und durch sie allein. Und selbstverständlich gilt diese intellektuelle Überlegenheit auch für die eigene Familie; und natürlich hat er sie, wie noch jeder Weissman vor ihm, auf seinen männlichen Nachkommen übertragen (Midges Bruder, definitiv einer der schwächsten Männer in der ganzen Serie), und dieser wird sie selbstverständlich auf seinen eigenen männlichen Nachkommen übertragen, den kleinen Ethan, den wir nie anders sehen, als gemeinsam mit seiner Schwester Esther vor dem Fernseher, sie werden mal hierhin geschoben, mal dorthin, aber immer enden sie vor dem Fernsehen. Ethan jedoch ist in seiner gehobenen Privatschule in der Happy Group; denn seine wesentliche Fähigkeit ist die zum Glücklichsein, und das, das allein reicht aus, um Abe vom Glauben abfallen zu lassen: Noch nie war ein Mann von auch nur mittlerer geistiger Größe glücklich, von der eigenen überdurchschnittlichen Größe ganz ausgeschlossen! Nun, da mag frau ihm nicht widersprechen: Wo die Reflexion ihre müd-schönen Flügel hebt, lauert die Melancholie als kleines Teufelchen auf der Schulter, nicht zufällig, sondern notwendig, und Denken macht vieles, aber nur ganz selten und nur sehr vorübergehend: glücklich. Ist das traurig? Ja, definitiv; vielleicht sogar: tragisch? Abe jedoch, in einem Moment wirklicher Größe, erkennt dabei noch etwas, was sein ganzes bisheriges Leben in Frage stellt: Vielleicht haben die Männer, die sich immer – mit der gleichen Sicherheit, wie er selbst – als die unzweifelhaft intellektuell Verstandenen gesehen und mit dieser Sicherheit die Welt regiert haben, seit Jahrtausenden (mit kleinen Ausnahmen); vielleicht haben sie es er verkorkst. Vielleicht waren die Frauen die ganze Zeit die klügeren, und niemand hat es gemerkt. Vielleicht hätte er seine Tochter fördern sollen und nicht seinen Sohn, den armen Noah, den er mit seinen Erwartungen überfrachtet und ruiniert hat; und was, was hätte aus dieser seinen Tochter werden können, wenn er sie beachtet, gefördert, unterstützt hätte? Wie konnte es nur sein, dass er – die Welt so grundlegend falsch verstanden hatte? Man sieht in diesem Moment, dass Abe nicht nur intelligent ist, sondern dass er wirklich, wirklich klug ist. Er kann nämlich sogar zugeben, dass er einen großen, einen grundlegenden, einen weltstürzenden Fehler gemacht hat; und er sieht, wie weit der Fehler reicht (das wäre auch ein guter Schluss gewesen für die Serie, im Übrigen).
Sein Enkel Ethan hingegen, der Selig-Unbedarfte, von den Schmerzen der Reflexion Unberührte, springt weiter mit einem Zauberstab in der Hand in der Happy Group um den Tischer herum, und er ist da gut aufgehoben. Esther aber, seine Schwester genauso wenig beachtet, genauso viel hin- und hergeschoben: Esther ist das Wunderkind, wie sich eines Tages völlig unerwartet herausstellt; und sie ist, wie die Vor- und Rückblicke in den verschiedenen Folgen der fünften Staffel zeigen, später gleichzeitig ein wissenschaftliches Genie und ein seelisches Wrack. Hasst sie ihre Mutter? Natürlich hasst sie ihre Mutter. Keine Versöhnung, nirgends. Denn das ist, bei allen weiterhin höchst witzigen und lustigen und hochintelligenten und wunderschönen (Kleidung und Kulissen sind weiter Highlights) Szenen, die Tragik von Midge Maisels Leben, die nicht verschwiegen und nicht verdeckt wird, sondern in dieser fünften Staffel zu einem Leitmotiv erhoben wird, das das ansonsten sehr Collagehafte der einzelnen Episoden verbindet. Am Ende ist The Marvelous Mrs Maisel so berühmt, wie sie immer werden wollte. Sie reist durch die Welt, sie gibt jeden Abend ausverkaufte Vorstellungen vor den größten Hallen, sie hatte die interessantesten Ehemänner, und sie sie lebt in einem Palast, in dem die Köche Köche haben (Zitat aus einer ihrer Vorstellungen; und das alles ist nicht wirklich der Spoiler, es ist eher nebensächlich). Aber sie ist einsam. Die Männer, die sie wirklich geliebt hat (Joel und Lenny) sind tot, und ihre Kinder hassen sie, mit guten Gründen (sie hatte es geahnt). Frau kann nicht alles haben. Midge hat ihre Entscheidung getroffen, vor langer Zeit. War es die richtige?
Ach, wer weiß das schon am Ende. Am Ende hat Midge nur noch Susie, die gute, alte, immer noch quadratische und ins Exotisch-Übertriebene gealterte Susie: eine Arbeitsbeziehung, die in eine Lebensbeziehung gewachsen ist, jenseits von Sex und Küche und Kindererziehung und all den Alltäglichkeiten, die das Leben komplizieren und erinnerungs- und lebenswert machen. Am Ende kann Midge immer noch lachen, sie kann mit Susie lachen, es ist aber ein wenig zum Weinen, wie und unter welchen Umständen sie lachen. Und wenn sie über ihre Wiedergeburt nachdenkt, wäre sie gern ein wilder Mustang. Sagte ich schon, dass das Ende ist immer enttäuschend ist?
Comments: no replies