Leider ist das Wort wieder einmal völlig unübersetzbar:. Stand-up-Comedy ist nicht nur das, was sich im Deutschen irgendwie mit dem Begriff des comedian verbindet, also: Jemand, der sich auf der Bühne über das Zeitgeschehen lustig macht, und weil er deutsch ist, mit einer etwas gezwungenen Note von Sozialkritik und Empörungs-Bewirtschaftung. Stand-up ist: Sich auf eine meist kleine Bühne stellen, in direktem und sehr nahen Kontakt mit einem zusammengewürfelten Publikum, und sich sehr lustig und gleichzeitig sehr ernst und ehrlich mit dem zu beschäftigen, was man selbst gerade erlebt hat, und was nicht schön war, sondern – leider ist das Wort auch ziemlich verbraucht, aber es muss hier sein: authentisch; aber auch spontan, assoziativ, analytisch, klug, pointiert, und jenseits des komischen Klischees, das überall lauert, aber eben nur für billige Lacher auf Kosten anderer Leute sorgt. Nein, die stand-up-comedienne steht auf für ihr eigenes Leben, und sie stellt es dabei auf den Kopf; und da es ihr eigenes Leben ist, stellt sie gleichzeitig auch noch das aller anderen Personen, die mit dem ihrigen eng verknüpft und verwoben sind (Familie, Partner, Ex-Partner, Zufallsbekanntschaften, Seelenverwandte, Erzfeinde usw.), mit auf den Kopf.
Kunst und Mode
Das alles und noch mehr ist The Marvelous Mrs. Maisel, eine Serie über eine Stand-up-Comedienne in New York in den 50er- und 60er-Jahren (geschrieben von Amy Sherman-Paladino und vielfach ausgezeichnet, vor allem Rachel Brosnahan in der Hauptrolle als Miriam Maisel); angelehnt an real existierende historische Figuren und inzwischen in der fünften und leider finalen Staffel, die gerade gedreht wird. Es ist eine derjenigen period-Serien, die man auch schauen kann allein der Szenerie und der Kostüme wegen. Denn selbst, wenn man sich sonst nicht sehr für die Exzesse der haute couture interessiert: Hier ist alles und jedes, was die Titelfigur Miriam und ihre Mutter Rose (stylish ist ein schreckliches Kunstwort; aber hier ist es am Platze) tragen, eine Kunstform des Selbstausdrucks und der Selbstwertschätzung, vom Handschuh bis zum Hut (die Serie pflegt einen gewissen Hut-Fetischismus, man könnte beinahe bedauern, dass frau keine Hüte mehr trägt!). Aber weil es gleichzeitig eine ehrliche und lustige Serie ist, zeigen verstreute Dialog-Brocken gern den Preis der perfekten Silhouette. In einem Nebensatz nur seufzt der Vater von Miriam (unvergesslich gespielt von Monk, Tony Shalhoub), das sei zu einer Zeit gewesen, als die hyperschlanke Rose noch gegessen habe; sie habe sogar Schokoladenkuchen gegessen damals. Wer aber die Art von Kleidern tragen will, die Audrey Hepburn getragen hat und die Rose und Miriam tragen, kann von Schokoladenkuchen nicht einmal träumen. Es sind Kleider, die Korsette brauchen; Panzer, die das Atmen einschränken und den Stand-Up-Act gleichzeitig zu einer physischen Übung machen.
Kunst und Sex
Aber Tits up! ist das erfrischende Motto von Miriams Managerin, der sehr modefernen und eher quadratisch gebauten Susie, und das ist wie alle gute Kunst wörtlich und symbolisch zu nehmen: Die comedienne weiß, dass sie ein Sex-Objekt ist für jeden Mann im Publikum, zumal wenn sie ihr bestes Show-Korsett trägt und so hinreißend hübsch ist wie Miriam. Und sie weiß, dass sie nur bestehen kann, wenn sie dazu steht, aufsteht, wie zu allem in ihrem Leben, was nun einmal so ist: Tits up! Kunst – und die comedienne macht Kunst, und zwar nicht nur Kleinkunst, daran besteht kein Zweifel – macht sexy, das wird häufig unterschätzt. Das beweisen auch andere Künstler-Figuren, die zwischendurch episodenhaft auftauchen und wieder verschwinden. Der Maler, der keines seiner Bilder verkaufen mag, das perfekte Bild in einer geheimen Kammer versteckt und es nur Miriam in einem beinahe-nüchternen Moment zeigt (eine elegante Anspielung auf Emile Zolas Roman Das Werk von 1885 im Übrigen, für die Bildungshungrigen unter unseren Leserinnen), weil sie etwas von Kunst versteht, also: von wahrer, authentischer, sich selbst preisgebender Kunst: Dieser Maler ist gleichzeitig so sexy, wie Mann nur sein kann, und so einsam, wie ein Mensch nur sein kann, der das perfekte Kunstwerk gemacht hat. Und Miriam versteht das, und sie ist ergriffen, und dann geht sie und erzählt niemand davon. Und sie lernt dabei, schrittweise, schmerzhaft, von Staffel zu Staffel ein wenig mehr: Wenn sie denn wirklich und wahrhaftig eine comedienne sein will, und nicht nur eine Scherze reißende, jüdisch-neurotische New Yorker Hausfrau mit dem perfekten Mann und den perfekten Kleidern und der perfekten Wohnung (sie verliert alles, eines nach dem anderen), dann wird sie einsam sein. Man kann nämlich nicht alles haben, und Frau schon gar nicht.
Überhaupt ist The Marvelous Mrs. Maisel eine Serie, die nur starke Figuren hat: bis in die allerkleinste Nebenrolle voll ausgebildete Charaktere, die man jeweils zum Zentrum eines eigenen Serien-spin.offs machen könnte. Selbst wenn lustvoll ein comedy-Klischee aufgegriffen wird, wie das des tolpatschigen Duos, wird man im nächsten Moment auf eine völlig unerwartete Weise überrascht: Die beiden Mafia-enforcer sind gleichzeitig Theaterliebhaber und wissen auch über Damen-Mode oder Spaghetti-Rezepte trefflich zu urteilen. Sie sind eben vielseitig interessierte Persönlichkeiten und betreiben die etwas außergewöhnliche Kunstform des Auftragsmordes, und was ist daran eigentlich seltsam? Das polnische Hausmädchen der Maisels, Zelda, ist gleichzeitig ein typisches polnisches Hausmädchen; heimlich aber schmeißt sie den chaotischen Haushalt, erzieht die chronisch vernachlässigten Kinder und ist eine weitere resolute Managerin reinsten Wassers. Aber nicht nur die Frauen sind hinreißend, auch wenn sie keine Mode-Ikonen sind. Auch die Männer in Miriams Leben sind jeder einzelne zum Dahinschmelzen: zum Beispiel der comedian Lenny Bruce (Miriams Mentor und gelegentlicher Partner für zweisam-einsame Nächte; und ihn gab es wirklich) mit dem schief-verschmitzten und gleichzeitig tragisch unterlegten Blick, der es schafft, Miriam nach einer gemeinsam durchstreiften Nacht in Las Vegas am frühen Morgen vor seiner Hotelzimmer – wegzuschicken, und die erotische Spannung zwischen beiden ist so stark, dass sie aus dem Bildschirm knistert, und er schickt sie weg. Aber er verspricht, dass man das Versäumte eines Tages nachholen werde, und zwar, die Pointe kommt mit perfektem Timing, in einem Nachsatz, als Miriam schon fast verschwunden ist: „bevor er tot sei“ – und man ahnt (und wenn man nachliest, weiß man es), dass Lenny Bruce sterben wird, ein Opfer seines Drogengebrauchs und seines Künstlerlebens; er ist gestorben in der Realität, und wahrscheinlich wird er auch in der fünften Staffel sterben. „Bevor ich tot bin“ – das hängt einem nach. Nein, solche Männer wie ihn, oder wie den schlaksigen und schlagfertigen Benjamin oder wie Shy Baldwin (auch ein einsamer Künstler) oder wie Miriams Ex-Ehemann Joel: Man hätte sie gern und mehr von ihnen; Männer, die genauso sind, wie sie sind, zum Dahinschmelzen – und die kein Kapital daraus schlagen. „Bevor ich sterbe“.
Kunst und Humor
Nebenbei ist die Serie ein Psychogramm des intellektuellen, schicken Judentums in seiner New-Yorker-Variante: Immer reden alle durcheinander, immer wird das von Zelda so sorgfältig bereitete und zeremoniell aufgetragene Essen kalt. Immer nehmen alle alles wörtlich und persönlich und übertreiben ohne Ende und sind egozentrisch und sophistisch und gnadenlos; kurz: Sie sind das ideale Material für eine stand-up-comedienne ebenso wie für eine TV-Serie, die von superschnellen, pointierten, überraschenden, überwältigenden Dialogen lebt. Stand-up: Die Angst, öffentlich sprechen zu müssen, ist in Umfragen regelmäßig stärker ausgeprägt als die Todesangst (Wissen aus Wikipedia). Ein comedian, der keine Lacher bekommt, ist bombing und ein hack; wenn er jedoch das Publikum in den Griff bekommt, wenn er den Raum richtig liest und ihn bearbeitet (work the room); wenn seine bits in der richtigen Reihenfolge und mit dem richtigen beat kommen (Lenny Bruce schnipst ihn mit den Fingern dazu): Dann ist er killing. Stand-up hat seine eigene Kunstsprache, wie jede Kunstform, sie ist bezeichnend und entlarvend ehrlich in ihrer Drastik. Natürlich hat Stand-up viel gemein mit der klassischen Komödie (fun fact: Der comedian wird eingeführt vom Emcee, dem Moderator, der das Publikum aufwärmt; und der Name kommt tatsächlich von master of ceremonies, dem alten höfischen Zeremonienmeister). Noch stärker sind aber die unerwarteten Parallelen zum Erzählen, dem uralten anthropologischen Muster des geselligen Selbstausdrucks. Miriam Maisel pflegt die schwierigste Form des Stand-Up, den stream of consciousness: einen assoziativen, scheinbar spontan wirkenden Vortrag, gegriffen aus dem vollen alltäglichen Leben, gesättigt aus täglichen Beobachtungen (die sie sorgfältig, wie jede gute Autorin, in ihrem Notizbuch notiert, alles ist Material, und die Künstlerin ist niemals im Urlaub) und so geformt, dass sie nicht mehr nur-persönlich, nur-zufällig, sondern: augenöffnend, einsichtsvoll, verallgemeinerbar sind. Und lustig natürlich, die comedienne lebt für den Moment der Pointe, die wirklichen und nicht nur klischeehaft-pflichtschuldigen Lacher, die zeigen: Die Pointe hat gezündet, und zwar in den Köpfen; manchmal deshalb auch mit einer gewissen Verzögerung.
Stand-up als Kunstform ist, und das ist ein zu wenig gebrauchtes ästhetisches Attribut, das jedoch interessanterweise traditionell gern Frauen zugeordnet wird: lebendig. Lebendig ist wichtiger als schön. Und lustiger. Denn das ist vielleicht die wichtigste Pointe von Stand-up in einer Welt, die meint, alles Wichtige könnte nur mit Trauermiene und dem Unterton empörten Vorwurfes (und deshalb auch immer mit einem gewissen bitter-selbstgerechten Beigeschmack) vorgetragen werden: Humor ist nicht nur ein Sahnehäubchen in einer Welt, die von Schwarzbrot lebt; er ist nicht nur etwas zur Unterhaltung und zur Ablenkung. Und Humor ist ganz gewiss nicht, wenn man über andere Leute lacht, sogar wenn sie es verdient haben. Humor ist: Lachenkönnen über sich selbst, gerade dann, wenn es richtig wehtut. Humor ist eine Erkenntnisform. Humor ist überlebensnotwendig. Humor ist eine Waffe der Frau. Tits-up!
Comments: no replies