Die Reihe nennt sich „Handliche Bibliothek der Romantik“, und es sind wirklich handliche Bücher in jeder Hinsicht: Frau nimmt sie gern zur Hand, sie fühlen sich gut an mit ihrem textilen Überzug, angenehm fasslich, aber nicht kuschelig. Die Zweifarbigkeit leitet sanft zwischen Text und Abbildungen hin und her, hie ein waches Blau, dort ein sachliches Schwarz; der Satz ist eine reine handwerkliche Wohltut für die Augen, und das Bändchen, das so gut in der Hand liegt, hat auch ein wachblaues Lesebändchen, welche Wohltat!
Aber genug geschwärmt. Hier geht es um ernsthaft romantische Dinge, nämlich um „Handarbeit“; so nämlich heißt der fünfte Band der Handlichen Bibliothek der Romantik, verdienstvoll zusammengestellt und herausgegeben von Christiane Holm, und er versammelt eine bestrickende gemischtgeschlechtliche Autorenauslese (na gut, die Männer sind zahlenmäßig überlegen. Aber die Frauen haben die besseren Texte zum Thema!). Vertreten sind nicht nur Rein-Romantiker wie Clemens Brentano, Achim von Arnim, Novalis und Chamisso; dazu kommen Märchenspinner wie Ludwig von Bechstein und Jacob und Wilhelm Grimm sowie einige schon frührealistische angehauchte Autoren wie Eduard Mörike, Johann Peter Hebel. Über all dem schwebt das „Magische Netz“ des Ober-Handwerksmeisterd Johann Wolfgang Goethe (der neben all seinen naturkundlichen Sammlungen tatsächlich auch eine Handarbeitensammlung hatte, darunter auch bestickte Hosenträger und Tischkissen) – Goethe also, der im gleichnamigen Gedicht metaphorisch mutig von kämpfenden Stricknadeln zu den bestrickenden Netzen der Liebe hinüberschwingt und so die Leserin „vom Lichten in das Dichte“ führt. Und natürlich darf schließlich Heinrich Heine nicht fehlen, der letzte der Romantiker und ihr Totengräber, mit seinen dumpf drohenden und Gott, König und Vaterland verfluchenden schlesischen Webern: „Wir weben, wir weben!“
Das alles spinnt sich bunt und mehr oder weniger bekannt ab am seidenen Lesebändchen, mal näher und konkreter, mal weiter und entfernter handarbeitlich inspiriert. Was aber wirklich interessant ist an diesem Band, das sind – und ich sage das nicht nur, weil ich eine schoengeistin bin! – die Texte der Frauen. Neben Brentanos versponnenes Liebeslied an die Spinnerin treten die „Armenlisten Leutmannsdorf“ seiner Schwester Bettine, verheiratete von Arnim: eine Katalogisierung von Armut, Leid und Aussichtslosigkeit, beengtesten Lebensumstände, ständiger Hungen, zur Arbeit gezwungenen Kinder: „In der Stube ist eine Bettstelle mit Stroh, ohne Betten. Die Kinder schlafen auf dem Boden auf Laub, das bereits im Sommer aufgesammelt war, weil Stroh viel zu teuer war“. Weniger romantisch geht nicht. Wir weben, wir weben …
Natürlich, es gibt auch zwei Gedichte von Karoline von Günderrode, die geradezu mannhaft reinromantisch sind (sie wäre auch lieber ein Mann gewesen, das hat sie mehrmals zu Protokoll gegeben; sie hatte eine Kämpferseele, bis in den selbstgewählten Tod durch das Messer). Aber eindrucksvoller und überhaupt der Glanzpunkt dieser Handbibliothek sind zwei humoristische Texte: beide von Frauen, und das ist gar nicht so häufig, wie man meinen sollte (für Humor braucht man Distanz, Souveränität, ein wenig Kälte des Herzens; das ist ein Produkt eines fortgeschrittenen Zivilisations- wie Emanzipationsstadiums). Der erste dieser beiden Texte ist anonym erschienen in Friedrich Justin Bertuchs Journal des Luxus und der Moden, einer der ersten deutschen Modezeitschriften überhaupt; er ist überschrieben Aufruf zur Beförderung einiger noch fehlenden Erfindungen für die Männer – von einem Mädchen. Im allerleichtesten und witzigsten Plauderton zieht die Satire die männliche Tabaksucht samt ihren schädlichen Auswirkungen auf die Geselligkeit sowie den zeitgenössischen Erfindergeist durch einen sehr starken Kakao. Beschrieben wird die Hässlichkeit der „Stellung eines rauchenden Herren“ (als Gegenpol zum verbreiteten Lobpreis der weiblichen Anmut beim Bedienen des Spinnrades); bezweifelt wird die inspirierende Wirkung von Tabakrauch aufgrund der damit verbundenen „zu starken Lebenskonsumtion“; ja, es gibt eine ganze Kulturgeschichte der Menschheit am Leitfaden des Rauches! Der Text konzentriert sich am Ende auf all diejenigen Probleme, die durch untätige Männer der Gesellschaft entstehen, und schlägt dafür praktische Abhilfe vor. Propagiert werden nämlich nun männliche Handarbeiten wie das Drechseln, die sogar für die Kindererziehung einen Kollateralnutzen abwürfen: Durch die Auszierung von Bildern und Kalenderchen zum Gebrauche der Kinder „würde eine gewisse Klasse von Männern noch obendrein mehr Teilnahme an der Erziehung ihrer Kinder erlangen und sich im Ganzen mehr humanisiert fühlen“ (man könnte auch sagen: die Erfindung des Erziehungsurlaubs für Männer aus dem Geiste der Handarbeit!). Was bringt die männliche Handarbeit nicht für vielfachen Nutzen: Behändigkeit, Beständigkeit, Beschäftigung! Ach, es ist einfach köstlich, eine Freude beim Lesen und ein wirklicher Fund fürs schöngeistige Nähkästchen!
Das gleiche gilt, und vielleicht noch mehr, für Helmina von Chézys Jugendschicksale, Leben und Ansichten eines papiernen Kragens. Von ihm selbst erzählt. Die Anspielung an romantische Titelgebungen liegt auf der Hand (man denke an die Lebens-Ansichten des Katers Murr von E.T.A. Hoffmann), und schon Helmina von Chézys Lebenslauf hat jede Menge romantischer Wendungen und Höhepunkte aufzuweisen: Enkeltochter von Anna Louisa Karsch, der berühmten aufklärerischen Stegreifdichterin, die sie auch teilweise erzog; Tochter einer schreibenden Mutter, Caroline Louise von Klencke; verheiratet, wieder geschieden, Zwischenspiel in Paris, enge Bekanntschaft mit den Schlegels, Rückkehr; erneute Heirat, drei Kinder, wieder Scheidung; wechselnde Aufenthaltsorte, publizistische Betätigung mit sehr expliziten politischen Meinungen, soziales Engagement, zunehmende eigene Verarmung – das Ende lassen wir aus, es ist eher unromantisch und ziemlich realistisch. Aber eine zeitlebens produktive Autorin war Helmina von Chézy ganz sicherlich, und die Geschichte des Papierkragens zeigt sie auch als eine Humoristin ersten Ranges.
Leben und Ansichten eines papiernen Kragens also – dazu kann frau wissen, wenn sie brav ihren Wikipedia-Artikel gelesen hat, dass Papierkragen zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine große Errungenschaft waren, eine geradezu demokratische Anreicherung der Männermode, nachdem mit der Französischen Revolution mit den Köpfen auch die aristokratischen Spitzenkrägen gerollt waren, sozusagen. Ein Papierkragen, gefertigt aus den Abfällen der Papierindustrie, abnehmbar, wiederverwendbar, ein grandioses Recycling-Produkt! Und genau dieses recycling macht nun auch der papierne Kragen durch, der uns hier seine eigene Geschichte erzählt, die mehr als ein gutes Menschenalter umspannt. Die Kurzfassung: Geschöpft in der Blüte der Romantik, zu Flachs versponnen von den zartesten Mädchenhänden, verwoben von einer „schlanken, sanften, rosenwangigten“, armen, aber redlichen Weberin, in „mühseliger“ Arbeit (die Schönheit des deutschen Wortes „müh-selig“ wird zu Recht von ihm gepriesen); geblichen auf den Wiesen eines paradiesischen Obstgartens; doch dann den sanften weiblichen Händen entrissen, auf kriegerische Banner und Zelte gespannt, und am Ende hinuntergekommen in die, schreckliches Wort! („und ist es denn wirklich ein Trost, dass unser Zeitalter den Namen des papiernen verdient und in Zukunft auch tragen wird?“): Papiermühle.
Doch Papier, immerhin, ist das Medium der Dichter und der Dichterinnen; von schreibenden Frauen wie der Gottschedin, der Unzerin, der Karschin gar hört der zukünftige Kragen noch in der Papiermühle – aber er gerät, ausgerechnet, unter die Feder des aufklärerischen Dichters Ramler, der ihn zu seinen Oden legte, „die mich unendlich peinigten“ (Ramler war eher das Gegenteil eines romantischen Autors). Es ist verlockend, die Geschichte weiter zu erzählen: Wie der Kragen unter die „Putzhändlerinnen-, Schneider-, Galanteriehändler“ und andere -Rechnungen gerät, eine „sehr geschmacklose Gesellschaft“; wie er in der Papiermühle, in die er immer wieder zurückkehrt, Geschichten hört von Weltbegebenheiten und „den interessantesten Kriminalgeschichten“; wie er angesichts der Erfindung des Papierkragens eine „Hochachtung für den Spekulationsgeist“ der Zeit entwickelt und zu der Erkenntnis gelangt, „dass papierne Wäsche ein Zeichen und Stempel der Zeit und ihres eigensten Wesens sei“. Aber das nimmt der Leserin das schönste weg, all die kleinen Pointen und Wendungen, die eingestreuten Albernheiten wie Lebensweisheiten, die in einem anderen Faden mitlaufende Gesellschafts- und Kulturkritik, die ästhetischen Meta-Reflexionen gar! Das kann man nur selbst lesen, schmunzeln, weiterlesen. Allein um dieser Perle, nein: dieses Filetstücks der Schreibkunst willen ist der handliche Band ein wahrer Beitrag zu einer Handbibliothek – nicht nur der Romantik, sondern des weiblichen Schreibens insgesamt!
Handarbeit. Hrsg. von Christiane Holm. Berlin 2020 (Handliche Bibliothek der Romantik, Bd. 5
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