Wenig wissen wir von den ersten Frauen, die nicht nur schrieben und ihre Werke aller Widerstände zum Trotz veröffentlichten, sondern die auch noch über das heikelste aller Themen schrieben, nämlich: den Wert der Frau. Manchmal hat man das Gefühl, dass der Streit um die Vorzüge des männlichen oder weiblichen Geschlechts (die querelle des hommes et des femmes) schon mit dem Sündenfall geboren wurde, und natürlich stand der Sieger jahrhundertelang fest: Es waren die Männer! Sie waren nicht nur das kräftigere Geschlecht, sondern auch das klügere, das moralischere, das einzig Genialische; und mit Recht herrschten sie nicht nur auf dem Schlachtfeld und in den Wissenschaften (einem Schlachtfeld eigener Art), sondern auch in ihrem Heim als pater familias mit diktatorischen Machtbefugnissen. Und dann schlägt frau, eher zufällig, eine Übersetzung eines italienischen Textes aus dem Jahr 1600 auf. Moderata Fonte heißt die Autorin, und das Werk hat den durchaus provozierenden Titel: „Das Verdienst der Frauen. Warum Frauen würdiger und vollkommener sind als Männer“. Auf S. 123 ist dort folgendes zu lesen: „Da meldete sich Helena zu Wort und sagte: „Wer war der Grund unserer Verdammnis, wenn nicht Eva, die erste Frau?“ „Vielmehr war es Adam“, widersprach Corinna, „denn Eva begehrte in guter Absicht zu erkennen, was gut und was böse ist, und ließ sich dazu hinreißen, die verbotene Frucht zu kosten. Aber Adam war nicht von demselben Gedanken bewegt, sondern aß den Apfel aus Gier und aus Freßlust, da er von Eva gehört hatte, daß er wohlschmeckend sei, was eine schlechtere Absicht war und größeres Mißfallen hervorrief“. Und während frau noch in sich hinein schmunzelt, fällt ihr auf: Das ist nicht nur sehr, sehr lustig, das ist auch von ziemlich unerhörter Subtilität. Der eigentlich Schuldige am Sündenfall ist Adam. Eva wollte nur ein wenig lernen, nämlich was gut sei und was böse (sie hatte also offensichtlich eine Art natürliches moralisches Gefühl, das nach Klärung verlangte, ein sehr edler intellektueller Impuls); Adam aber wollte leckere Früchtlein vernaschen, ohne die Konsequenzen zu bedenken. Schlecht ist es ihm bekommen, schlechter aber noch – der ewigen Eva.
Wer aber war diese Moderata Fonte, dieses mäßig springende und fröhlich vor sich hinsprudelnde, aber nicht überschäumende Brünnlein? Sie war, nach Chrstine de Pisan, die zweite Erfinderin des Frauenhauses. Sie schrieb nicht ganz so viel wie Christine, aber immerhin auch Einiges: Zum Beispiel einen dramatischen Dialog mit dem Titel Le feste (Feste), in dem sich ein stoischer und ein epikureischer Philosoph darüber streiten, ob Vergnügen oder Tugend das ultimative Endziel des menschlichen Lebens sei (uralter Philosophieklassiker, bis heute zwar eindeutig mit den Füssen entschieden, aber nicht in den Köpfen). Und während die Herren noch debattieren, entscheidet die eritreische Sibylle, ganz nebenbei, die Frage (eine bekannte antike Seherin, die auch den Fall Trojas prophezeit hatte, sowie vorhergesagt, dass Homer Lügengeschichten dazu erzählen werde; im Übrigen waren die Vorhersagen der Sibyllen immer nur so gut, wie die Fragen, die man ihnen gestellt hatte, und erinnert uns dann nicht irgendwie an Eva –? nein, andere Geschichte). Oder, um zu Moderata Fonte zurückzukommen: Sie schrieb auch eine Passion Christi, das war nicht direkt originell zu dieser Zeit, aber immerhin schrieb sie sie im heroischen Versmaß der ottave rime, hohe Literatur also; und sie rückte zudem entschieden die weibliche Perspektive in den Vordergrund, die Rolle der Jungfrau Marias und Maria Magdalenas. Es ist wahrscheinlich, dass Moderata noch mehr geschrieben hat, es ist bezeugt, dass ihre dramatischen Dialoge vor dem Dogen von Venedig aufgeführt worden; aber bescheidene Berühmtheit erlangte sie erst mit der Streitschrift vom Verdienst der Frauen, die nach ihrem Tod veröffentlicht wurde und an der sie angeblich noch am letzten Tag vor ihrem (frühen) Tod schrieb.
Denn Moderata Fonte war Venezianerin; ein Kupferstich ist ihrem Merito delle donne beigefügt, auf der man eine ganz im Stil der Zeit hochmodisch und elegant frisierte Dame im reichen und mächtigen Venedig der Renaissance sieht. Sie trägt eine schlichte Perlenkette um den Hals, ein eng geschnittenes Kleid mit einem weiten Spitzenausschnitt und aufgestelltem Spitzenkragen, und aus dem Kragen wächst ihr schmales Gesicht hervor, von zwei hörnerartigen Zöpfen gekrönt; dazwischen schlingt sich, man merkt es auf den ersten Blick kaum, ein Lorbeerkranz hindurch, das Zeichen der gekrönten Dichterin. Das Gesicht selbst aber ist – androgyn; es ist das Gesicht der schönen Jünglinge, wie sie die Renaissance-Maler gemalt haben, aber etwas fülliger um die Wangen, etwas verschatteter um die großen Augen, etwas weicher in den nicht lächelnden Lippen des Mundes. Kein Zweifel: Dies ist – ein Wesen, mit dem zu rechnen ist; nicht eine Spur von Unterwürfigkeit, nichts Schmelzendes, Schmeichelndes, Gefälliges; eher eine Art gefallener Engel, dessen Flügel sich zu einem Spitzenkragen gefaltet haben. Aber im unteren Teil des Bildes (das Bildnis ist nur ein Bruststück) könnte das Wesen auch ein Flammenschwert tragen.
Zum Glück jedoch sind wir nicht ganz auf Vermutungen über Moderatas Leben angewiesen. Ihr ehemaliger Vormund Giovanni Doglioni, selbst Dichter, hat ihre Biographie aufgeschrieben und dem Merito delle donne vorausgesetzt, als er die Streitschrift nach Moderatas Tod zum Druck gab. Und selbst wenn man in Abschlag bringt, dass er eine Art weibliche Heldinnenbiographie schreibt, vielleicht noch aus der Trauer des unmittelbaren Verlusts heraus, muss man zugestehen, dass diese Frau besondere Talente hatte. Gebürtig zwar nicht aus dem venetianischen Patriziat, aber immerhin im Stand der cittadini originari, einer Art bürgerlichen Elite, verlor Modesta Pozzo (so hieß sie eigentlich) ihre Eltern schon ein Jahr nach ihrer Geburt. Modesta wurde gemeinsam mit ihrem Bruder Leonardo bei ihrer Großmutter aufgezogen und erhielt ihre erste Ausbildung in einem Konvent. Dort schon, so berichtet Doglioni in der Lebensbeschreibung, wurde sie Besucherinnen gern als frühreifes Kind vorgeführt, das über eine Art fotografisches Gedächtnis oder zumindest sehr gute Merkfähigkeiten verfügte; einmal Gelesenes konnte sie auf Anfrage wörtlich reproduzieren, was einen besuchenden Prediger zu der Äußerung veranlasste, sie sei wohl wahrlich ein Geist ohne Körper! Worauf die kleine Moderata dem ziemlich fülligen alten Herrn erwidert haben soll: Dann müsse er ja wohl ein Körper ohne Geist sein! Mit neun Jahren kehrte sie ins Haus der Großeltern zurück und stürzte sich auf die Bibliothek des Großvaters, der diese Neigung stolz förderte und sie mit immer neuem Lesestoff versah. Sie soll auch ihren Bruder Leonardo gezwungen haben, ihr alles, was er im Lateinunterricht gelernt hatte, zuhause beizubringen, so dass sie bald auch die humanistischen lateinischen Schriften las. Angeblich konnte sie auch noch übermenschlich gut zeichnen, Cembalo und Laute spielen, singen, rechnen, nähen und sticken, alles mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit. Ein wahres Wunderkind also, das jedoch vor allem eines liebte: zu schreiben und zu dichten (noch eine andere Geschichte: Es ist wenig beachtet worden, dass viele große Autoren, und ja: Männer, ähnliche Hochbegabungen hatten. Sie wurden aber ‚nur‘ Dichter. Wie gesagt, eine andere Geschichte).
Aber auch Wunderkinder werden verheiratet. Immerhin schaffte es Moderata, dies bis in ihr 27tes Lebensjahr hinauszuzögern, was schon reichlich spät war. Dann aber heiratete sie einen vortrefflichen, von ihrem Vormund persönlich ausgewählten Steueranwalt beim Wasseramt (ja, tatsächlich, aber man bedenke: Das ist Venedig!) und gebar ihm vier Kinder. Sie selbst erzog die älteren drei, so berichtet uns Doglioni, mit großem Eifer, wahrscheinlich erfand sie dabei auch noch die frühkindliche Förderung. Bei der Geburt des vierten jedoch verstarb sie im Kindsbett. Und vielleicht ging sie danach ein in den wunderbaren Garten, in dem sich die Frauen aus ihrem Frauenbuch für zwei wunderbare Tage versammelt hatten, an deren Ende die Sonne langsam untergeht, man noch ein wenig in der Kühle des Gartens lustwandelt und zwei der Frauen schließlich in ein Madrigal einstimmen: „So wie die Sterne den Himmel zieren die Frauen die Welt mit allem, was diese an Schönheit und Freude birgt. Und wie kein Sterblicher ohne Seele und Herz zu leben vermag, so sind aus eigener Kraft, ohne die Frauen, die Männer ohne jeden Beistand: Denn die Frau ist des Mannes Herz, Seele und Leben“.
Das Verdienst der Frauen nun – ist kein Buch, das man unbedingt von der ersten bis zur letzten Seite durchlesen möchte und zwischendurch nicht mehr aus der Hand legen; dazu ist es zu lang, zu unsystematisch, zu lang her. Es schildert die Gespräche von insgesamt sieben Frauen der gehobenen Gesellschaft in Venedig während dieser zwei aus dem Frauenalltag gestohlenen Tage, in denen man im Garten lustwandelt, unter der Sonne des venezianischen Himmels, im Schatten venezianischer Gemächer; die Brunnen sprudeln dazu, es gibt sonnenverwöhnte Früchte und von unsichtbaren Dienstboten herbeigezauberte leichte Mahlzeiten, man rezitiert Gedichte (selbstgemachte), empfiehlt sich gegenseitig den neuesten Hausarzt, tauscht Ratschläge in Gesundheitsfragen aus und belehrt sich gegenseitig ein wenig dabei. Es ist eine Art – Sex and the City ohne Sex; ein reiner Frauenclub, schön sind sie alle, dabei aber unterschiedlichen Alters und vor allem unterschiedlicher Grade des Verheiratetseins. Man tendiert zwischendurch ein wenig dazu den Überblick zu verlieren, genau kommt es auch nicht darauf an, aber die Zusammenstellung dieses venezianischen Frauenhauses ist eigentlich schon der subtilste Trick der Autorin: Sie zeigt uns das Frausein in Schattierungen, sozusagen, und die Ehe in all ihren Variationen. Wir haben nämlich Adriana, betagt, Witwe, gewählte Königin des zweitägigen Frauensymposions und fest entschlossen, nie wieder zu heiraten; ihre Tochter Virginia, im heiratsfähigen Alter (aber nicht besonders heiratswillig, vor allem am Ende der zwei Tage). Dann eine junge Witwe als Ergänzung zur alten Witwe, Leonora heißt sie; Lucretia, eine gestandene Ehefrau; Cornelia, eine junge Ehefrau als Kontrast dazu; Corinna, eine Art weltlicher Nonne, also: von der Heirat befreit; und Helena, frisch vermählt frischgebackene Ehefrau, noch etwas erhitzt von den soeben beendeten Flitterwochen. Und alle reden sie, scherzen sie, halten abwechselnd kleine Vorträge, streiten wieder ein wenig, kommen von den Vorzügen der Dichtkunst bis zu den Geheimnissen der Gestirne, bevor die Königin sie wieder zur Ordnung ruft – es geht doch eigentlich um: ja genau, die Männer und das Eheleben!
Es ist ein endloses Thema, und es wäre noch untertrieben zu sagen, dass die Männer schlecht dabei wegkommen. Es wäre auch untertrieben zu sagen, dass die Ehe das kleinere Übel ist. Nein, um ehrlich zu sein: Alle Frauen wissen furchtbare Geschichten von den Männern zu erzählen – nicht unbedingt von den eigenen Ehemännern, aber manchmal auch von diesen; von Vätern, Brüdern, Onkeln, von dem Mann an sich und dem Mann in der Geschichte und dem Mann in Venedig. Sie alle sind, nur in unterschiedlichem Maße: gewalttätig, egoistisch, triebgesteuert, hinterlistig, tückisch, selbstverliebt. Sie alle sind, genauso wie die letzte Figur am hochsymbolischen Gartenbrunnen, eigentlich Krokodile: Sie quälen und töten die Frauen, die sie verführt haben, und täuschen am Ende dann noch Mitleid vor! Demgegenüber illustrieren die anderen Brunnenfiguren die zumeist utopische Lebensform weiblicher Autarkie: keusch und rein, freudig und selbstgewählt allein, frei wie die Sonne und freigiebig mit ihrem Strahlen. In der Ehe jedoch, noch in der besten, sind die Frauen Schmetterlinge, angezogen von den süßen Blüten der Liebe; die Liebe ist ein Pfirsich, frisch und süß in der Blüte, verdorben im Kern. Aber am Ende kommt das Krokodil (Ausnahmen bestätigen höchstens die Regel). Die Ehe: Sie ist nicht die Lösung, sie ist das Problem! Das mag ein wenig übertrieben sein, ganz sicherlich einseitig. Aber die andere Seite der uralten querelle, die ewige Rede von den Verdiensten und Vorzügen der Männer,war schon so dickgefressen, dass sogar eine ziemlich massive Einseitigkeit als Gegengewicht erforderlich war. Und ganz sicher hat sich das Männlichkeitsideal heute verändert, vielleicht sogar zum Besseren (aber darüber lassen wir die Geschichte und ein anderes Symposion urteilen). Zwischendurch jedoch denken wir an Moderata Fonte, das gemäßigte Brünnlein mit den zum Spitzenkragen gestutzten Engelsflügeln. Wir denken an sie, wenn wir uns wieder einmal über einen Mann geärgert haben, wenn wir einem Krokodil begegnet sind oder auf einen verrotteten Pfirsich gebissen haben. Wir denken an sie, wenn das Ehegespons (ist das nicht ein wunderbar geschlechtsneutraler Begriff? und noch eine andere Geschichte) mal wieder seine Tage hat und man doch lieber allein in den Garten gehen möchte, unter einem sonnenverwöhnten Himmel mit reifen Feigen, und die Gondeln gaukeln den Kanal entlang. Natürlich sind die Männer nicht an allem schuld. Aber vielleicht sollten wir ein paar der Geschichten umschreiben; und die vom Sündenfall könnte der Anfang sein.
Leseprobe:
„Das ist doch ungeheuerlich“, empörte sich Cornelia, „daß Männer uns selbst dann verbessern wollen, wenn wir Gutes tun. Können wir uns die Männer nicht vom Hals schaffen, um ihrem Spott und ihrer Lüsternheit zu entkommen und dieser Last ein für allemal ein Ende zu bereiten? Könnten wir nicht ohne sie leben? Und allein für unseren Lebensunterhalt aufkommen und uns um unsere Angelegenheiten kümmern, ganz ohne ihre Hilfe. Ich bitte Euch inständig, laßt uns erwachen und unsere Freiheit zurückerobern, mit all der Ehre und der Würde, die sie sich schon vor langer Zeit widerrechtlich angeeignet haben. Vielleicht fehlt uns der Mut, um uns zu verteidigen, wenn wir uns daran wagen, vielleicht auch die Kraft, um uns gegen sie zu behaupten, und vielleicht auch die Fähigkeit, unseren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Doch laßt uns nur ein einziges Mal tapfer sein, denn dann kann es uns egal sein, ob die Männer besser werden und was das Ergebnis ist, wenn wir bloß nie wieder von ihnen kommandiert werden! Und dann, wenn wir die Gleichheit erreicht haben, können wir sie ebenfalls verspotten und unseren neuen Vorteil auskosten.
Moderata Fonte: Das Verdienst der Frauen. Warum Frauen würdiger und vollkommener als Männer sind. Nach der italienischen Ausgabe von 1600 erstmals vollständig übersetzt, erläutert sowie herausgegeben von Daniela Hacke. München 2001.
Die Moderata-Fonte-Stiftung unterstützt Forschungsprojekte von jungen WissenschaftlerInnen. Sie unterstützt die Reihe „Femme de Lettres“, die im Veralg Secession Berlin erscheint.
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