Ein halbes Jahrhundert später waren nicht nur die Salons im damals kulturell ziemlich hinterwäldlerischen und nicht direkt für höfische Eleganz oder zivilisierte Feinheit der Umgangsformen bekannten Fleckenteppich deutscher Fürstentümer angekommen, sondern die französische Galanteriemode. Das Zentrum der Galanterie wurde, ausgerechnet, eine betriebsame Stadt mitten in Sachsen: Vom „galanten Leipzig“ sprachen die Zeitgenossen bewundernd, es war eine Blütezeit der alten Buchhandels-, Messe -und Verlagsstadt mit ihrer aufstrebenden Universität und ihrem reichen Bürgertum. Und hier wurde auch Christiana Mariana Ziegler geboren, mitten hinein in die Bildungselite der alten Lindenstadt, im Jahre 1695. Ihre Mutter brachte eine schöne Mitgift mit, der Vater war angesehener Jurist an der Universität und wurde bald nach ihrer Geburt zum Bürgermeister gewählt, und man gedachte, den Ansehenszuwachs durch den Bau eines prächtigen Bürgerpalais mitten in der Stadt zu demonstrieren, dem heute noch Ehrfurcht gebietenden Romanushaus. Dann jedoch kam der Korruptionsskandal, die Umstände sind kaum noch genau zu rekonstruieren, der Bürgermeister sollte jedenfalls Geld unterschlagen haben; man einigte sich eher unter der Hand, dass er auf die Festung Königstein kam, als Staatsgefangener, wo er die letzten vierzig Jahre seines Lebens verbrachte. Natürlich war es ein Skandal für die Familie, aber das Vermögen der Mutter konnte gerettet werden, und die 16jährige Christiana – von deren Erziehung man eigentlich nichts weiß, außer dass sie irgendwann stattgefunden haben muss und gar nicht so schlecht war, vielleicht auch hier gemeinsam mit einem Bruder oder Neffen – wurde verheiratet und stieg auf in den niederen Adel.
Alles scheint also nach Plan zu gehen, ein Jahr später kommt schon das erste Kind – doch dann verstirbt, nach kaum zwei Jahren Ehe, der junge Mann. Wiederum zwei Jahre später heiratet Christiana erneut, zieht aufs Land mit ihrem ebenfalls adligen zweiten Ehepartner, zieht vielleicht sogar mit ihm in den Nordischen Krieg, aber das wird niemals mehr zu belegen sein. Sie bekommt auch wieder Kinder, der zweite Ehemann stirbt, die Kinder sterben – ein Frauenschicksal, gar nicht so außergewöhnlich. Christiana jedoch, und das ist das Außergewöhnliche, geht zurück zur Mutter, zieht wieder um ins galante Leipzig, ins pompöse Romanushaus, und eröffnet dort ihren Salon. Johann Sebastian Bach verkehrt dort, er vertont einige ihrer selbst geschriebenen Kantaten. Und als Johann Christoph Gottsched nach Leipzig kommt, schon als ‚Literaturpapst‘ eine Berühmtheit und Autorität in literarischen Kreisen, öffnet die Zieglerin ihm in Leipzig die Türen. Er revanchiert sich prompt: Auch dieser Salon ist eine Handelsbörse in Sachen literarischer Machtpolitik, aber er ist es in einem sehr deutschen, mehr noch: sehr aufklärerischem Gewand, das das galante bald verdeckt, überlagert, verdrängt. Im Zieglerschen Salon wurde zwar durchaus gelacht, gescherzt, getanzt, gespielt, gedichtet, musiziert – aber kann man sich einen Gottsched als galanten Komplimentendrechsler vorstellen, einen Bach als Salonmusikanten, ja auch eine Zieglerin als verliebte Schäferin, die sich auf der Karte der Zärtlichkeit verirrt hat?
Als Christiana 1728 ihr Erstlingswerk publiziert, sicherlich gefördert von Gottsched, tut sie das bereits mit einem gegenüber der Scudery – die sie im Vorwort sogar als Vorbild erwähnt! – deutlich gestärktem Selbstbewusstsein. Es ist, also ob sie Scuderys Rede der Sappho an Erinna und all ihre Nachfolgerinnen wirklich verinnerlicht hätte. Und ihr eigener Name steht auf dem Titelblatt; kein Versteckspiel, keine Anonymitär. Bisher sei es zwar, so wendet sie sich an den Leser (oder vielleicht doch eher die Leserin?), durchaus üblich gewesen, dass schreibende Frauen ihre Texte vor der Veröffentlichung sicherheitshalber einer männlichen Korrektur unterzogen hätten (also sozusagen dem Gegenteil eines peer-review). Sie habe jedoch, wissend um ihre eigenen Schwächen und Unvollkommenheiten sowohl als Frau als auch als Autorin (wann werden jemals männliche Autoren ein solches Bekenntnis in einer Vorrede ablegen?), beschlossen, dies nicht zu tun. Dieses seien ihre eigenen Texte, genauer: Gedichte, Werke in gebundener Sprache, Ausfluss ihres Vergnügens und ihrer Freude am Verfassen von Poesie seit früher Jugend.
Man kann das glauben, man sieht das auch an ihren Gedichten, von denen viele das zeitgenössische Gewand der Gelegenheitslyrik tragen – und damit einer Angelegenheit für Dilettanten, Nebenstundendichter, wie man das nannte: Hier ist eine geschickte Reimeschmiederin (ihr eigenes Wort) am Werk, die Verse fließen geläufig, geschickt, meist konventionell, gelegentlich originell, insgesamt: lebhaft. Natürlich wisse sie, so gesteht sie ebenfalls in der Vorrede, dass Frauen gelegentlich Briefe schreiben, die man nicht einmal als „Botage“, als herzhaften Eintopf, servieren dürfe, so drunter und drüber ginge es in ihnen; aber hat nicht ein gut gemischter Eintopf auch seine Vorzüge (das sagt sie nicht in der Vorrede, aber wissen wir das nicht alle)? Vor allem aber schmerze es sie, dass man als Frau nicht scherzhaft sein dürfe. Sie habe gleichwohl einige Versuche in scherzhaften Gedichten beigefügt, für den gewogenen Kritiker – dessen hilfreichen Hinweisen sie im Übrigen gern Folge leisten werde, wenn er sie denn vernünftig und ernsthafte kritisiere. Wenn man sie allerdings nur schmähe und beleidige, werde ihr schon das Halstuch nicht verrutschen! (und plötzlich sieht man doch die Salondame im Hintergrund zwinkern..)
Dabei könnte einem heutzutage durchaus gelegentlich das Halstuch verrutschen, wenn man sich in ihre Situation versetzt. Denn Christiana Mariana von Ziegler erfährt bald darauf die außerordentliche Ehre, als erste Frau in die von Gottsched geleitete „Deutsche Gesellschaft“ aufgenommen zu werden; eine Sprachgesellschaft, wie es sie an vielen akademischen Standorten gab, die sich der Säuberung und Vereinheitlichung der deutschen Sprache zum Zwecke ihres literarischen Aufstiegs verschrieben hatte – keine Fremdworte also, aber auch kein Dialekt, sondern eine in Maßen vereinheitlichte und für die nationalsprachliche Dichtung geschmeidig gemachte Hochsprache war das ambitionierte Ziel. Die „Deutsche Gesellschaft“ war, wie ihr Vorbild, die französische Academie française, und im Gegensatz zu den Salons eine geschlossene Gesellschaft: Die Mitgliedschaft wurde verliehen, und sogar, wenn sie einmal an eine Frau verliehen wurde – wie nun an die Zieglerin –, dann durfte diese natürlich nicht in den heiligen Hallen erscheinen, um ihre Antrittsrede zu halten. War es ein Zufall, dass Christiana kurz darauf eine eigene literarische Gesellschaft gründete, die sie die „Scherzende Gesellschaft“ nannte, wo man vielleicht gelegentlich dann doch das Halstuch etwas verrutschen lassen durfte? Zumal ihr bald darauf, eine zweite, beinahe noch höhere Ehre erfuhr: Die Universität Wittenberg krönte sie zur „poeta laureata“ – und verlieh ihr damit den einzigen akademischen Ehrentitel, der einer Frau außerhalb der für sie verbotenen Promotion zugänglich war. Aber natürlich durfte sie wiederum den Lorbeerkranz nicht persönlich entgegennehmen; eine Frau hatte in der Universität nichts zu suchen, selbst wenn sie sie mit ihrer höchsten Ehre auszeichnete.
Wenig später schrieb Christiana dann eine Abhandlung über die Zulassung und Eignung von Frauen zur Wissenschaft, einen kleinen Text, der sehr wenig aufrührerisch oder gar proto-emanzipatorisch daherkommt und einfach nur friedlich argumentiert: Es sei prinzipiell nicht zu ersehen, warum Frauen weniger geistige Gaben als Männer von Gott verliehen haben sollten. Es sei sogar im allgemeinen gesellschaftlichen Interesse einer Kulturnation, die vorhandenen geistigen Ressourcen optimal zu nutzen, zumal es den meisten Frauen (im Subtext meint man zu hören: im Unterschied zu den meisten Männern) nicht um die Befriedigung persönlicher Eitelkeit oder eines Gott wenig gefälligen Ehrgeizes ginge, sondern nur darum, nützlich zu sein und sich selbst ein wenig zu bilden. Schließlich, selbst wenn man nun der Meinung sei, die Pflichten des Frauenzimmers lägen auf anderen Gebieten – was sie durchaus nicht gänzilch ablehne –, sei es erwiesenermaßen möglich, einen Haushalt zu führen und, in den Nebenstunden, zum Wohle des eigenen Geistes und des wissenschaftlichen Ruhmes der Nation tätig zu sein. Zeige das nicht – ihr eigenes Beispiel, nämlich ihre Aufnahme in die Hall of Fame, die „Deutsche Gesellschaft?“ Zeigten das nicht etliche gebildete, gelehrte, erfolgreiche Frauen, wie die Italienerin Laura Bassi, die in Bologna als Physikerin reüssierte und auf die die Zieglerin eine eigene Ode verfasst hatte? Deren Tenor war: Wenn es überhaupt irgendeinen Sinn hat, dass die Musen den Sänger beflügeln, über wahrhaft hohe und edle Gegenstände zu singen, müssten wir dann nicht alle jetzt und sofort in einen Lobgesang über Laura Bassi und die edle Universität Bologna ausbrechen, die genug Größe hatte, einer Frau einen (zumal philosophischen) Doktorhut zu verleihen? Aber stattdessen: Stille im Walde, auch in der galanten Lindenstadt. Beim Geburtstag eines Generals, oh ja, da würden die Musen zum Sturmgesang rufen, so dichtete Christiana in einer anderen Ode nicht ganz scherzhaft; aber, um ehrlich zu sein, sie müsse nun wirklich nicht dabei sein, wenn dessen „- – Ruhm“ besungen würde; und die beiden Gedankenstriche sagen es alles und mehr.
In dieser Zeit der zunehmenden öffentlichen Anerkennung und Ehrung hatte sie selbst ihren zweiten Sammelband verfasst, der diesmal nicht nur die bekannte Mischung aus Gelegenheits-, scherzhaften und religiösen Gedichten enthielt, sondern auch einen Teil von Texten in „ungebundener Rede“: Prosatexte, Abhandlungen, Reden, Essays, wie man heute sagen würde; sie übersetzte in dieser Zeit auch die Conversations der Madame Scudery ins Deutsche, unter dem bezeichnenden Titel der „Moralischen Gespräche“. Und in diesen Essays und Reden zeigte die Zieglerin nun das, was ihr wahrhaft am Herzen lag, gleich unter dem Halstuch, aber jenseits von Männlichkeit und Weiblichkeit und den Ungerechtigkeiten eines Geschlechterdiskurses, in dem Männer immer die Herren sind und Frauen nur ihre Schuldigkeit tun müssen (gern zitiert sie in diesem Zusammenhang aus der Bibel, „Das Weib schweige in der Gemeinde“, sie muss diesen Satz ernsthaft gehasst haben, hatte aber die Größe, ihn immer wieder anzuführen, wie einen Stachel im eigenen Fleisch, der löckt und nicht nachlässt): Sie ist eine Aufklärerin, bis zur Leidenschaft, bis zur Naivität. Und würde man nicht die Frauen, wenn man sie sich nicht bilden lässt, genau davon ausschließen: von der Aufklärung des Menschengeschlechts, dem großen Projekt einer Zeit, die die Menschheit noch für erziehbar hielt? Und war es nicht sogar so, dass Frauen, gerade in ihrem eingeschränkten weiblichen Leben oder auch in den Salons, alle Zeit und Muße der Welt zur Beobachtung des Menschen hatten? Gestand man ihnen nicht Menschenkenntnis zu und eine Begabung für das Gespräch, für die Konversation, ja hielt man sie in diesem Bereich nicht nur sogar für begabter als Männer? Warum aber sollten sie nur reden und nicht schreiben über das, was sie beobachtet und sorgfältig erwogen hatten? Gott taucht in dieser Argumentation kaum noch auf; an seine Stelle sind die Moral getreten, die menschliche Tugend, die philosophische Weisheit. Aber Christiana hätte sicherlich gesagt, dass man einen Menschen, dem man vom Prozess der Aufklärung ausschließt, letztendlich zum Fegefeuer verdammte: Denn wie sollte man moralisch handeln, ohne zu wissen, wie das eigentlich geht, wie es sich begründet, wie man sich selbst, in vielen kleinen Schritten, hin zur Moralität entwickelt? Nein, wahre Dichtung war keine Reimeschmiederei, kein galantes Gesellschaftsspiel, kein buntscheckiger Eintopf aus Themen, keine diffusen Ideen, irgendwo aufgeschnappten Formen, zusammengerührt und gewürzt mit ein wenig weiblicher Preziosität. Dichtung im Geist der Aufklärung war eine moralische Verpflichtung, so, wie es Gottsched lehrte, auch wenn er längst nicht mehr der „Deutschen Gesellschaft“ vorstand und sich weit weg in der Schweiz die Aufrührer gegen sein Papsttum in der deutschen Literatur siegreich formiert hatten; aber das war der Gang der Dinge und rührte nicht an die Grundfesten der Aufklärung und der Tugend und der Dichtung.
Spät hat Christiana Mariana Ziegler noch einmal geheiratet, einen Jura-Professor, sie kannten sich schon lange in Leipzig, gemeinsam zogen sie nach Frankfurt an der Oder. Danach hat sie nur noch übersetzt, aus dem Französischen vor allem; mit sechzig Jahren starb sie, da hatte Madeleine de Scudery noch ein Drittel ihres Lebens vor sich. Dass sie nach der dritten Heirat verstummte – vielleicht war es ihr dann doch zu viel, der Haushalt und die Dichtung? Vielleicht meinte sie nichts mehr zu sagen zu haben, vielleicht war die Zeit über sie, wie über Gottsched, hinweggegangen? Wie Madame de Scudery war auch sie zwischenzeitlich Opfer einer Rufmordkampagne geworden, auch wenn diese auf deutsche Verhältnisse herabgestimmt war: Nach ihrer Poetenkrönung schrieben vier lose Leipziger Studenten ein Schmählied auf die gelehrte Damenwelt. Es war auf eine einfache Melodie gesetzt und begann: „Ihr Schönen, höret an, erwählet das Studieren!“, und es endete „O schöne Musen-Schar, /continuiert drei Jahr. / Ich sterbe vor Vergnügen, /wenn ihr anstatt der Wiegen, /euch den Catheder wählt, /statt Kinder Bücher zählt“. Das konnte natürlich nicht mit Molière konkurrieren, aber ein wenig weh tat es sicherlich trotzdem. Aber die Zieglerin riss sich zusammen und verfasste eine Ode auf das „Das männliche Geschlecht, im Namen einiger Frauenzimmer besungen“; sie zeigt hier wieder gekonnt ihre scherzhafte Seite, man sieht das Halstuch geradezu verrutschten, aber zwischendurch klingt auch gar nicht wenig Bitterkeit mit, wenn es heißt: „Die Männer müssen doch gestehen, / Daß sie wie wir, auch Menschen sind. / Daß sie auch auf zwey Beinen gehen; / Und daß sich manche Schwachheit findt. / Sie trinken, schlafen, essen, wachen. / Nur dieses ist der Unterscheid, / Sie bleiben Herr in allen Sachen, / Und was wir thun, heißt Schuldigkeit“.
Genutzt hat es nichts. Das Modell ‚gelehrte Frau‘ blieb auf die frühe Aufklärung in Deutschland beschränkt, die Zieglerin und die Gottschedin waren seine Heldinnen, und niemals hätten sie es gewagt, sich die deutsche Sappho zu nennen; dafür waren sie zu ernst und zu modern und gleichzeitig zu bescheiden. Und ihr himmlischer Salon wäre wohl auch nicht das galante Spielparadies von Madame de Scudery gewesen. Es wäre wohl eher ein „Spiel des Wissens“ gewesen oder eine Art Moral-Monopoly, wo man moralische Bonuspunkte einsammeln konnte; mit viel Geld hätte man dann eine Akademie gebaut, für kleinere Budgets hätte es Volksaufklärung gegeben, und die Ereigniskarten hätten gesagt: Sie haben den zweiten Preis in einer akademischen Preisfrage gewonnen! Aber es wäre immerhin ein interessantes Gedankenspiel, wie ein moderner Salon aussehen würde, ein multikultureller, multinationaler natürlich, in dem sich Frauen treffen und spielerisch an ihrer Bildung arbeiten (und natürlich dabei heimlich an ihren Netzwerken stricken, das ist sowieso klar); in dem das gute Gespräch gepflegt würde und der Scherz, in dem Männer galant sein dürfen und Frauen auch, in dem zwar die Regeln des guten Geschmacks und der vernünftigen Argumentation gelten, aber die Wachhunde der politischen Korrektheit ebenso draußen bleiben müssen wie die Trolle der unsterblichen Schmähsucht (es wäre ganz sicher kein Chatroom.) Träumen wir weiter!
Literatur:
Susanne Schneider: Christiana Mariana von Ziegler (1695–1760). In: Kerstin Merkel, Heide Wunder (Hrsg.): Deutsche Frauen der Frühen Neuzeit. Dichterinnen, Malerinnen, Mäzeninnen. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2000, S. 139–152.
Gisela Brinkler-Gabler (Hrsg.): Deutsche Dichterinnen vom 16. Jh. bis zur Gegenwart. Gedichte und Lebensläufe. Frankfurt am Main 1978, S. 113–121.
Werke online:
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/person/gnd/121540243
Leseprobe:
Ob Einer Dame erlaubet In Waffen sich zu üben
von Christiana Mariana von Ziegler
Wer will nicht nach Verdienst die Amazonin preisen?
Die noch die heutge Welt muß heldenmüthig heissen?
In Männer-Hertzen wohnt nicht Hertz und Muth allein,
Das Frauenzimmer kan auch Heroinen seyn.
Wie viele können uns davon ein Zeugniß stellen,
Die mit behertzter Faust den Feind im Treffen fällen.
Was dort Semiramis1, was Fulvia2, gethan,
Das hört man Wunders-voll und mit Erstaunen an.
Ismenens3 Tapferkeit, Zenobiens4 Beginnen,
Besinget heute noch der Chor der Pierinnen,
Und wie Lädusia den blancken Degen führt,
Das hat schon mancher Kiel vor langer Zeit berührt.
Und mein! wer wolte diß den Frauenvolck verwehren?
Die Pallas, die zu uns nothwendig muß gehören,
Dieweil sie weiblich ist, führt Lantze, Schild und Schwerd,
Zum Zeichen, daß sie diß von andern auch begehrt.
Bellona5 giebet durch ihr heldenmüthges Wesen,
Als Krieges-Göttin, diß ohnstreitig auch zu lesen,
Lucina6 schenckt uns nicht das Licht der Welt allein
Daß wir der Liebe bloß die Hertzen solten weyhn.
Die Damen so sich nur in Amors Waffen üben,
Und süssen Zeitvertreib statt edler Arbeit lieben,
Sind Gänse-Blumen gleich gemein und gantz veracht,
Da man hingegen die zu Käyser-Cronen macht.
Mars ist deswegen nicht ein Unhold zu benennen,
Ob gleich sein Auge pflegt vor Wuth und Zorn zu brennen;
Er kan deswegen doch, läst ihm sein Handwerck ruhn,
Mit Frauenzimmer schön und unvergleichlich thun,
So bald er seinen Helm und Küraß7 hingeschmissen,
So weiß er in der That die Venus so zu küssen,
Daß mancher Spaß-Galan, der doch die Kunst versteht,
Sich überwunden sieht, von ihm beschämet geht.
1 altorientalische Heldin (Vgl. Herodot)
2 politisch einflussreiche Ehefrau des Marcus Antonius
3 Mythische Figur, Tochter des Ödipus, Schwester der Antigone
4 Herrscherin Palmyras im 3. Jahrhundert
5 Römische Kriegsgöttin
6 entspricht Juno, der Göttin der Geburt
7 Brustpanzer
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