Was tun, wenn die Welt um einen herum still ist? Was könnte helfen, wenn dagegen das eigene Innere laut ist – wenn Fragen laut drängend nach Antworten suchen? Die großen Antworten auf das Leben kommen meistens nur ganz leise daher… Sie kommen in Etappen. Warum? Weil die Antworten individuell der eigenen Wahrheit gemäß ins Leben purzeln. Ja, purzeln. Besonders wenn man jung ist, purzeln sie. Sie kommen nämlich unverhofft, plötzlich, oftmals dann, wenn man gar nicht mit ihnen rechnet. Es sind Begegnungen, Gespräche und Möglichkeiten, die sich ergeben. Gibt es mehr Fragen, wenn man jung ist, wenn man gerade erwachsen wird? Ich glaube schon. Man ist schließlich auf der Suche nach sich selbst.
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Wer bin ich? Das fragt sich auch Laura, die Protagonistin in Was helfen könnte. Es ist der Debütroman von Mona Høvring, einer norwegischen Schriftstellerin, deren Namen man sich merken sollte. In Deutschland ist sie noch recht unbekannt, in Norwegen aber schon eine Berühmtheit. Für ihre Werke erhielt sie bereits einige Preise. Ihr Roman Was helfen könnte wird von Kritikern mit Francoise Sagans Bonjour Tristesse verglichen. Ich fühle mich selbst auch daran erinnert – durch die erzählerische Durchdringung von Gefühlsoffenbarungen, intellektueller Scharfsinnigkeit und einem poetischen Schreibstil. In Mona Høvrings Roman ist das Erwachsenwerden von Laura getragen von Melancholie und Optimismus, der Freude am Leben, Neugierde und dem Zweifel.
Schon der erste Absatz des Buches zog mich in den Bann: „Als ich neun Jahre alt war, lernte ich schwimmen. Meine Mutter brachte es mir im Traum bei, da war sie schon tot.“ Laura hat es in jungen Jahren schwer: Als sie in der ersten Klasse ist, nimmt sich ihre Mutter das Leben. Sie geht mit einem Stein in den Händen ins Wasser, hält sich an diesem fest, lässt ihn nicht mehr los… bis zum letzten Atemzug. Sie versinkt mit dem Stein zusammen auf den Meeresgrund. Lauras Vater ist wie versteinert, spricht mit seiner Tochter kaum ein Wort. In der Gemeinschaft als reduzierte Familie mit Vater und Bruder fühlt sich Laura einsam. Isoliert sucht sie nach neuem Anschluss, nach Menschen, die ihr Antworten auf ihre jugendlichen Fragen geben können. Die Entdeckung der eigenen Sexualität ist dabei ein wichtiger Grundstein. Auf den Grund geht Laura den Dingen im Leben meistens, auch ihrer Sexualität. Sie experimentiert mit Jungs, mit Männern, mit Mädchen und reifen Frauen. Die Frage Wer bin ich? wird auch an der Beziehung zu anderen Menschen offenbar: ob freundschaftliche Verbundenheit, erotische Wirkungen, sexuelles Begehren, Leidenschaft oder Liebe – die Empfindungen sagen etwas über die eigene Persönlichkeit aus. Und so sucht sich Laura in der Beziehung zu anderen Menschen selbst. Bei all dem Sich selbst finden, schwingt die zarte Vermutung als Leserin mit, dass Lauras Persönlichkeit mit der ihrer Mutter viel gemein hat. Laura ist tiefsinnig, sie liebt das Wasser. Und den Dingen geht sie gerne auf den Grund…
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Leseprobe
Als ich neun Jahre alt war, lernte ich schwimmen. Meine Mutter brachte es mir im Traum bei, da war sie schon tot.
In dem Traum spielten der Nachbarsjunge und ich mit Murmeln. Ich war gut und hatte schon mehrere Runden gewonnen, als meine Mutter mich rief. Sie stand unten an der Straße. Ich unterbrach das Spiel sofort, ließ die kostbaren Glasmurmeln liegen und lief zu ihr. Sie drückte mich an sich und fragte, ob wir baden gehen wollten. Im Einkaufsnetz hatte sie alles dabei, was wir brauchten: unsere Badeanzüge und die großen, hellblauen Handtücher, die immer so rau waren, weil sie draußen in der prallen Sonne und dem rastlosen Wind auf der Leine zum Trocknen aufgehängt wurden. Sie hatte kalten Saft und der Thermosflasche, eine alte Zeitung und ein paar Holzscheite. Es war ein Wunschtraum. Ich war so glücklich.
Am Strand machten wir zwischen den Steinen ein Feuer. Wir zogen die Badeanzüge an und gingen ins Wasser.
– Es ist lauwarm, sagte ich. Wir sind wohl auf eine warme Quelle gestoßen.
– Vielleicht hat das Feuer das Meer aufgewärmt, sagte meine Mutter.
Als wir weiter draußen waren, zeigte sie mir, wie ich Arme und Beine bewegen musste. Die rechte Hand hielt sie unter mein Kinn, die linke unter den angespannten Bauch.
– Du musst nicht zappeln, sagte sie. Es ist nicht nötig, dass du dich so anstrengst.
Sie sprach ruhig, sagte, ich solle mich vom Wasser tragen lassen, dürfe das Atmen nicht vergessen.
– Wenn du die Luft anhältst, gehst du unter.
Es war, als glitte ich in ein anderes Dasein hinein. Für kurze Zeit bewegte ich mich in einer neuen Wirklichkeit, aber kaum hatte ich gesagt, jetzt könne sie mich loslassen, jetzt könne ich schwimmen, wachte ich auf, und obwohl es noch Nacht war, verließ ich das Bett, nahm den Badeanzug aus der Kommode und schlich mich aus dem Schlafzimmer.
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Der Roman erschien 2019 beim Verlag edition fünf in der Übersetzung von Ebba D. Drolshagen. Der Verlag hat sich auf Bücher von Schriftstellerinnen spezialisiert. Ein Interview mit der Verlagschefin Karen Nölle gibt es hier:
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