„Alchemist*innen“! Da stand ich und lachte zynisch vor mich hin in der Kabinetts-Ausstellung im Nürnberger Germanischen Nationalmuseum. Schön gender-korrekt war die kleine Ausstellung beschildert und erläutert, aber wer denn, bitte schön, hatte schon jemals von weiblichen Alchemistinnen gehört? Was immer man nun von der geheimnisumwitterten Disziplin meint – Schabernack oder Vorform der Naturwissenschaft, dunkle Magie oder ganzheitliches Naturverständnis hin oder her: Frauen, die sich auf die Suche nach dem „Stein der Weisen“ gemacht hätten und angefangen, Substanzen in seltsamen Geräten zu mischen und zu destillieren und zu sublimieren, sie wären doch wohl als Hexen auf dem Scheiterhaufen gelandet! Ach, was man so alles zu wissen weiß in seinem soliden Halb-, aber wahrscheinlich eher: Viertelwissen! Ein paar Tafeln später nämlich war ich klüger und belehrt: Es gab Alchemistinnen! Und sie hatten sogar Dinge erfunden!
Nun, ein paar Wikipedia-Artikel weiter, bin ich noch klüger und wenigstens solide halb- bis dreiviertelbelehrt, und viel mehr wird es wohl auch nicht mehr werden, denn: Es waren sehr wenige Vertreterinnen der Zunft, und man weiß fast nichts von ihnen von ihnen. Das hat nicht nur mit dem klandestinen Charakter von alchemistischem Wissen schlechthin zu tun, sondern mit der Überlieferungslage. Denn die wenigen bekannten Alchemistinnen sind – aus der Antike. Und ich trage nur ein paar Brocken weitgehend spekulativen Vermutungswissens zusammen, weil es vielleicht doch für die eine oder andere Hobby-Alchemistin ermutigend und nützlich zu wissen ist.
Also: Die erste war Marie die Jüdin. Oder auch Marie, die Prophetin. Oder auch Marie, die Koptin genannt, oder auch: die Tochter Platons, und das alles demonstriert schon die deplorable Übermittlungslage. Gelebt hat sie wohl zwischen erstem und drittem Jahrhundert in Alexandria; man weiß von ihr aufgrund der Schriften eines gewissen Zosimos von Panopolis, der einige ihrer Experimente und Geräte lobend erwähnt. Man schreibt ihr ein Axiom zu, es geht so: „Eines wird zwei, aus Zwei wird Drei, und das Eine des Dritten ist das Vierte; so werden die zwei eins“. Ja, so ähnlich wie Faust im Hexeneinmaleins, und das versteht auch niemand so genau. Aber immerhin, ein Axiom ist nach ihr benannt! Sie soll außerdem, aber das ist in der Geschichte der Alchemie gar nicht so selten, die wahre und grundlegende Vereinigung überhaupt in der Vereinigung von Mann und Frau gesehen haben; und ja, das „Dritte“ mag durchaus ein Kindlein sein, schwierig wird es erst danach mit dem „Vierten“. Und schließlich soll sie mehrere Geräte erfunden haben, von denen heute noch eines nach ihr heißt (obwohl sie ausgerechnet dieses ziemlich sicher nicht erfunden hat): die bain-marie, das Wasserbad nämlich (ein doppelwandiger Topf, wie man ihn in der Küche beispielsweise zum schonenden Schmelzen von Schokolade verwendet).
Es gibt auch noch eine Cleopatra, gleicher Zeitraum, vielleicht ihre Schülerin, noch sagenumwobener; und dann gibt es Pernelle Flamel, die Ehegemahlin des bekannteren Alchemisten Nicholas Flamel, 14. Jahrhundert. Was sie genau zur Geschichte der Alchemie beitrug, ist genauso unklar wie bei ihren Vorgängerinnen; außer, dass sie es war, die die Unternehmungen und Veröffentlichungen ihres Ehemannes mit ihrem nicht unbeträchtlichem Kapital aus früheren Ehen finanzierte. Wem dieser Name aber nun bekannt vorkommt: Ja, genau, Nicholas Flamel spielt eine Rolle in einem der wesentlichen alchemistisch inspirierten Texte der Gegenwart, in J.K. Rowlings Harry-Potter-Universum nämlich.
Wie wird man also berühmt als Alchemistin? Man erfindet – oder findet – nicht den Stein der Weisen; das ist auch keinem der männlichen Kollegen erfunden (und man hätte es ziemlich sicher nicht überlebt). Man erfindet auch nicht eine Methode, wie man Gold macht; auch wenn bei diesem erzvergeblichen vergeblichen Bemühen immerhin das Schießpulver und das Porzellan entdeckt wurden (zwei Entdeckungen, die der Ausstellungstext immer im gleichen Atemzug als wesentliche Errungenschaften des menschlichen Erfindungsgeistes preist; man weiß gleich wieder, warum man ihm nicht traut, diesem Erfindungsgeist). Man erfindet vielleicht eine Art Kochtopf, der in die Küchengeschichte eingeht, wenn auch auf dem bewährten historischen Überlieferungsweg des Missverständnisses. Am sichersten aber geht man, wenn man in Harry Potter erwähnt wird. Das ist der wahre Weg zur Unsterblichkeit!
Germanisches Nationalmuseum Nürnberg: Stein der Weisen. Geschichte der Alchemie.
27.09.2023 – 30.06.2024
Studioausstellung in der Dauerausstellung „Renaissance, Barock. Aufklärung“
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