Ihren literarischen Durchbruch feiert Brigitte Glaser 2016 mit Bühlerhöhe – einem Roman über einen fiktiven Attentatsversuch auf Bundeskanzler Konrad Adenauer. Bühlerhöhe ist der Beginn einer bislang dreibändigen Reihe von erfolgreichen politischen Romanen. Es folgen Rheinblick (2019) und Kaiserstuhl (2022). Die Autorin bezeichnet ihre Romane als „Genre-Bastarde“, denn sie sind eine Mischung aus Thriller, Krimi und Liebesroman; fiktionale Geschichten ereignen sich vor realhistorischem Hintergrund.
Brigitte Glaser wird 1955 in Offenburg geboren und wächst in Achern auf, einer kleinen Stadt zwischen Offenburg und Baden-Baden. Es ist ein Ort, an dem sie fast in Blickweite zur Bühlerhöhe lebt – einem Luxushotel im Nordschwarzwald. Hier verkehrte Bundeskanzler Konrad Adenauer in den 1950-er Jahren. Brigitte Glasers Roman spielt sich vor dem Hintergrund des Wiedergutmachungsgesetzes ab – dem Luxemburger Abkommen, das der deutsche Kanzler in Luxemburg für die Verfolgung von NS-Opfern mit Israel unterzeichnete. Das Abkommen war Teil der Versöhnungspolitik im Nachkriegsdeutschland. In Bühlerhöhe geht Brigitte Glaser auf die deutsch-israelischen Verhältnisse in den 1950-er Jahren ein. Vor die realpolitischen Ereignisse setzt sie eine fiktive Geschichte: Ein zweites Attentat auf Konrad Adenauer muss vereitelt werden. Dabei übernimmt die israelische Geheimagentin Rosa Silbermann eine zentrale Rolle.
In die Politik der 1950-er Jahre hat sich Brigitte Glaser intensiv eingearbeitet. „Es muss bei einem Thema einen Funken geben, der mich so reizt, dass ich bereit bin, weiter in die Tiefe zu gehen“, so die Schriftstellerin. Für die Recherchen zu ihren Romanen nimmt sie sich ausgiebig Zeit. Die thematische Einarbeitung kann bis zu einem Jahr Arbeit in Anspruch nehmen. Im nächsten Schritt macht die Autorin „Tiefenbohrungen“ – sie konzentriert ihre Geschichte auf eine zentrale historische Momentaufnahme. Das ist auch in ihrem zweiten Roman Rheinblick (2019) der Fall. Dieser rückt das Jahr 1972 in den Fokus: Nach dem grandiosen Wahlerfolg Willy Brandts versagt dem Politiker noch in der Nacht die Stimme.
Während er sich im Krankenhaus einer Stimmbandoperation unterzieht und nicht sprechen darf, brechen inner- und außerparteiliche Machtkämpfe aus. Der Roman gibt Fragen rund um Loyalität und Verrat Raum. In den Strudel politischer Seilschaften inklusive Erpressungsversuchen gerät auch die Wirtin der Gaststätte Rheinblick, wo die Politiker verkehren. Während der Stimmverlust Willy Brandts historisch belegt ist, handelt es sich bei den Ränkespielen mit kriminellem Potenzial um eine fiktive Handlung.
Politisch denkende Autorin
Brigitte Glaser wurde als Jugendliche und junge Erwachsene in den 1970er Jahren politisch sozialisiert. Sie ist geprägt von der 1968-Bewegung und ein „Kind der Willy-Brandt-Ära“, wie sie es selbst bezeichnet. Ihr politisches Selbstverständnis zeigt sich in ihren Romanen, mit denen sie auch politische Vermittlungsarbeit leisten möchte. „Mir ist wichtig zu zeigen, wie sehr wir von Geschichte geprägt sind und wie schnell wir vergessen“, sagt die Autorin. „Nur wer die Vergangenheit versteht, kann die Gegenwart gut einordnen und klug gestalten.“ In ihrem jüngsten Roman Kaiserstuhl (2022) beschäftigt sie sich mit einem Meilenstein des vereinten Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Es geht um den Élysée-Vertrag von 1963, den deutsch-französischen Vertrag, der die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich besiegelt. Und auch hier verbindet Glaser realpolitische Ereignisse mit einer fiktiven Geschichte. Im Vorfeld der Vertragsunterzeichnung von Konrad Adenauer und dem französischen Präsidenten Charles de Gaulle soll eine symbolträchtigen Flasche Champagner getrunken werden. Doch die ist nichts so einfach zu finden.
„Mich sorgen die neuen Nationalismen“
Politisch sei heute einiges im Wanken und wirke fragil, sagt die Autorin. Während Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Macron 2018 mit ihrem Freundschaftsvertrag von Aachen an den Élysée-Vertrag anschlossen, wäre der Vertrag von Marine Le Pen gekündigt worden, hätte sie die französischen Präsidentschaftswahlen 2022 gewonnen. Mit ihrem Roman Kaiserstuhl möchte Brigitte Glaser für die historisch gewachsene Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland sensibilisieren, die noch nicht sonderlich alt ist. Und überhaupt sorgt sich die Autorin um „die neuen Nationalismen und das Erstarken von autokratischen Staaten und ihre Herrschaftsansprüche“. Schließlich hätten diese auch zum Krieg Russlands gegen die Ukraine geführt. „Kaiserstuhl ist mein Beitrag für ein weltoffenes und friedliches Europa“, so Brigitte Glaser. Als Schriftstellerin möchte sie gegen die historische Vergesslichkeit im Alltag anschreiben.
Bestsellerautorin mit Bescheidenheit
Den literarischen Durchbruch hatte Brigitte Glaser erst mit 60 Jahren. Vielleicht ist das der Grund für ihre sympathische Bescheidenheit und Ehrlichkeit. Vor ihrem ersten Bestsellerroman Bühlerhöhe (2016) war Brigitte Glaser bereits zehn Jahre im literarischen Betrieb tätig. Zwar veröffentlichte sie die recht erfolgreiche Reihe um die Köchin und Zufallsermittlerin Katharina Schweitzer sowie einige Jugendbücher, doch davon ließ sich nur schwer leben. Auf ihrer Homepage dokumentiert die Autorin darum neben ihren erfolgreichen Schlüsselmomenten auch einen Lebenslauf des Scheiterns. Auf Nachfrage erklärt sie: „Im Leben geht es nicht immer nur bergauf, das wäre gelogen!“ Den steilen Aufstieg und den harten Fall von Kolleg:innen hat sie miterlebt. „Erfolg ist immer fragil“, sagt sie und möchte auch künftig lieber auf das Vergnügen setzen, das ihr das Schreiben bringt, als auf den Erfolg. Der reflektierte Umgang mit Erfolg und Misserfolg ist auch Kraft für ihr eigenes Schreiben: „Literatur wird nur dicht, wenn man sich alle Seiten des Lebens anschaut – sowohl die Seiten des Schmerzes, des Verlustes und der Niederlagen als auch die Erfolge.“
Brigitte Glaser lebt als freie Autorin in Köln. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Vereins für deutschsprachige Kriminalliteratur SYNDIKAT. Am 15. August stellte sie in Bretten ihren Roman Kaiserstuhl vor – eine Veranstaltung im Rahmen des Literatursommers Baden-Württemberg.
Dieser Artikel von Kerstin Bönsch erschien zuerst auf dem Blog der Baden-Württemberg Stiftung unter www.literatursommer.de
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