Sehr Nachträgliches zum Ende von ‚Big Bang Theory‘
Nun ist es schon eine ganze Weile her, dass die letzte Klappe gefallen ist für eine der definitiv lustigsten Sitcoms unserer Zeit, aber manchmal schwingen Dinge etwas nach, und man braucht einige Zeit, um sie geistig zu erhaschen (aber wenigstens besteht jetzt keine Gefahr mehr irgendetwas zu spoilern). Wie immer war man ein wenig traurig, wenn langjährige Serien tatsächlich zu Ende gehen, nicht nur wegen der Anhänglichkeit, die man für die Figuren entwickelt; nein, man ist auch ein wenig enttäuscht, weil die kurzen Enden langer Geschichten immer enttäuschend sind: Wirklich, musste es der Nobelpreis sein, den Wissenschaftler in der Realität bekanntlich erst dann bekommen, wenn sie alt genug sind, um damit umgehen zu können und kein ewig frühreifes cry baby wie Sheldon mehr sind? Musste es so faustdick sentimental sein? Die Freunde sind die einzig wahre Familie, jaja, aber irgendwie haben wir die Kinder von Bernadette und Howard nie gesehen, und es bleibt ein Rätsel, wie sie sich alle weiterhin allabendlich um den Tisch bei Leonard und Penny scharen können, während die Babys allein zuhause, ja was? – suspension of disblief, sagt mein ewig frühreifer Sohn (er ist aber kein Sheldon, oder nur ein bisschen) – wo waren wir? Penny also, the thing about Penny. Die ewige Blondine, das wandelnde Klischee auf attraktiv geformten Beinen (und man könnte immerhin die Drehbuchschreiber dafür ein wenig loben, dass sie ihr fast nie die High Heels verordnet haben, die die Frauen sogar bei Verfolgungsszenen in crime series zu wandelnden Wackelpuddings machen); Penny, illiterat von Grund auf, wissensabstinent, belehrungstolerant; Penny, so stellt sich am Ende heraus (man hätte es aber ahnen können), war die Klügste von allen. Denn während die Serie sich selbst überlebt und wir ziemlich viel disbelief suspendieren müssen, um die ewige Jugend der anderen zu verkraften, wird Penny – na ja, zu einer Art Meta-Penny. Penny ist die einzige, die es schafft, irgendwann ab Staffel 10, Penny dabei zu spielen, wie sie Penny spielt. Sie lächelt in unbeobachteten Momenten hin zum Kameramann (wahrscheinlich ist er ein Mann, so ist Hollywood halt, aber man sagt wohl inzwischen besser: „Kameraperson“), und er hält einen winzigen Moment zu lange hin, genau so lang, wie Penny braucht, um zu kommunizieren, in den Mundwinkeln und den Augen: Ich habe euch alle längst durchschaut. Ich spiele das Dummchen, weil ihr das Dummchen wollt und braucht. Ich lache über eure Nerd-Scherze, weil ihr euch so freut, dass ich lache; ich tue dumm, damit ihr euch freut, dass es immer noch Leute auf der Welt gibt, die dümmer seid als ihr, ihre dummen Alleswisser. Ich lache aber eigentlich mit den Drehbuchschreibern und den Kamerapersonen über euch und vor allem: über mich selbst (was sowieso das einzige wahre Kennzeichen von Klugheit ist: über sich selbst lachen zu können, und zwar nicht nur gelegentlich, sondern hauptsächlich). Ich lache darüber, wie wir alle spielen, was wir schon längst nicht mehr sind: not a care in the world. Carefree.
Ewige Jugend, ewige Freundschaft; immerhin, das muss man loben, haben die klugen Drehbuchschreiber die Idee von ewiger Liebe schon ziemlich früh aufgegeben, das hätte niemals für zwölf Staffeln gelangt, nein, aber die wahren Utopien sind sowieso: ewige Jugend und ewige Freundschaft! Ach, wie gern glauben wir das, möchten wir das glauben! Nur wenn Penny auf diese etwas seltsame Art lächelt und mit den Augen zur Kameraperson zwinkert, geraten wir einen Moment in einen winzigen Zweifel, es ist aber nur ein Hauch von einem Zweifel, und er wird vom nächsten Nerd-Gag davongepustet (na gut, es gibt noch eine zweite Stelle, wo ein Zweifel sich verdichtet, und das ist so subtil gemacht, dass vielleicht doch eine der Kamerapersonen eine Frau gewesen ist: wenn sich die Mädels abends, bevor sie zu ihren sehr verschiedenen Partnern in ihre sehr verschiedenen Betten steigen, die Hände eincremen. Tun sie, alle. Jede Frau weiß, dass das der Zeitpunkt ist, an dem man definitiv erwachsen geworden ist).
Aber Kameraschwenk zurück zu Penny. Als der Höhepunkt der letzten Staffel naht (wenn man nicht die übersentimentale Nobelpreis-Szene am Schluss, die mehr absurdes Theater ist, als solchen fälschlich bezeichnen will), als also der wirkliche Höhepunkt naht, nämlich: als sich der Aufzug im dritten Stockwerk automatisch und lautlos öffnet, zum ersten und (beinahe) zum letzten Mal in den insgesamt 12 Staffeln; als der ewig kaputte Aufzug, das Symbol einer unabgeschlossenen Jugend, in der man noch genug Kraft hatte, um Treppen auf und ab zu laufen, mit Einkaufstüten oder Wäschebündeln im Arm und mit pfeilscharfen Gags auf der Zunge; als dieser ewig moribunde Aufzug auf einmal wundersam geheilt ist – da entsteigt ihm Penny, im Business-Kostüm auf flachen Pumps, und grinst wortlos (sie schafft es sogar, dabei ein wenig an Botticellis Geburt der Venus zu erinnern, auch ohne Muschelschale). Beinahe bekommt man den Gag nicht mit, so unerwartet ist er. Dann aber überstürzen sich die Ereignisse. Sheldon fällt in seine Nobelpreis-Krise – die Welt verändert sich, die Welt soll sich nicht verändern; wenn man einen Nobelpreis bekommt, ist man wohl unwiderruflich erwachsen geworden, das darf doch nicht sein? –, und Amy bekommt die Haare schön (darauf hatten wir eigentlich mehr gewartet als auf die Aufzug-Reparatur, es war schon eine beinahe Penny-mäßige schauspielerische Meisterleistung, so konsistent eine unattraktive Frau zu spielen, wenn man genauso gut eine attraktive hätte spielen können, man hätte nur eine kleine Verschwörung mit der Kameraperson gebraucht). Um die Krise zu bewältigen, geht Penny mit Sheldon auf ein therapeutisches Beziehungsgespräch in die Cheesecake Factory. Dorthin, wo alles begann, also in die Ursuppe des Beziehungs-Big-Bang sozusagen. Und ganz unaufgeregt kuriert sie Sheldon von seiner Veränderungs-Phobie, weil sie eben eine kluge Frau ist und ihren Sheldon definitiv Lichtjahre besser kennt als er sich selbst. Danach geht man nach Hause, vielleicht fährt man sogar gemeinsam mit dem Aufzug in den dritten Stock – aber hier haben die klugen Drehbuchschreiber eine kleine Auslassung vorgenommen, eines der wichtigsten dramaturgischen Mittel der Weltliteratur, nicht nur in sitcoms. Denn etwas später werden wir erfahren: Daran anschließend, in genau dieser Nacht wird Penny von Leonard geschwängert. Offensichtlich war keine Zeit für die üblichen Vorkehrungen geblieben, sondern berauscht von ihrem Gespräch mit dem kriselnden Sheldon (ja, es war Alkohol im Spiel. Ja, auf Pennys Seite, nicht auf Sheldons, der bekanntlich diet coke für eine Ausschweifung hält. Ja, kluge Menschen wissen, wann es keine andere Wahl als Alkohol gibt, nur langweilige Menschen sind immer auf der sicheren Seite) war die blonde und gigantisch unterschätzte Penny über ihren kleinen Leonard hergefallen, und sie hatten ein Kind gezeugt (wird es demnächst, neben Young Sheldon, dann Young Leonard geben? Ach, vielleicht doch besser Young Penny?)
Aber nur literarisch völlig verbildete Nicht-Blondinen denken bei der Vorstellung dieser ausgelassenen Zeugungsszene an Goethes Wahlverwandtschaften. Dort begegnet ein altes Ehepaar, sehr abgeklärt und eigentlich anderweitig verliebt, sich eines nachts völlig neu, weil im Nebenzimmer ein halb-offizieller Ehebruch stattfindet und sie in der Ehe im Kopf die Ehe brechen können. Und, ebenfalls völlig unabsichtlich, zeugen sie ein Kind, das, wahlverwandt, vier Eltern hat (es ertrinkt später im See. Dramaturgische Gründe, verletzte Aufsichtsplichten. Kein Spin-off). Natürlich waren das eigentliche Liebespaar schon immer Penny und Sheldon, die Schöne und das Biest, und auch das arme Kind von Penny und Leonard wird vier Eltern haben, mindestens. Aber unter Erwachsenen ist das eigentlich kein Problem. That’s the thing about Penny: She’s a grown up.
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