I. Vorgeschichte: Männer, Freundesbünde und Verräter
Es ist eine Geschichte, die selten auf den Spielplan kommt. Weihnachten hat seinen großen Auftritt jedes Jahr, und das Drehbuch ist ein Klassiker: Engel, Jungfrauen, ein frisch vermähltes Paar; ein wenig Armut, ein wenig Vertreibung, ein unerwarteter Reichtum mit viel Exotik und sogar die Hirten und die Tiere dürfen mitspielen in der heiligsten aller Nächte! Danach Vorhang zu, Geschenke für alle! Ostern, nun ja, das ist große Dramatik und eine Männer-Heldengeschichte: der Freundesbund beim letzten Abschiedsmahl, der groß inszenierte Verräterkuss, und dann geht es Schlag auf Schlag: Gefangennahme, ein Unrechtsurteil (das Volk lehnt im letzten Moment die Begnadigung ab, so ist es halt); Entwürdigung, Spott, Massenspektakel und am Ende dann: das langgezogene Leiden, die Quälerei, einige Frauen weinen, einige Henkersknechte würfeln, und unterm Kreuz steht ein Jude mit einem seltsamen Gerät in der Hand – wer ist das? – aber nein, das wird meist ausgelassen; jedenfalls zieht sich am Ende der Himmel dräuend zusammen, der Vorhang im Tempel zerreißt und Jesus Christus stirbt. Das Volk zerstreut sich, gespenstische Ruhe auf Golgatha, der Schädelstätte. Abspann.
So ungefähr berichten es die vier Apostel, und die Geschichte ist damit ja auch beinahe zu Ende. Natürlich steht noch eine vage Prophezeiung einer Wiederauferstehung von den Toten im Raum, ein alter jüdisches Mythos, an den sich kaum noch jemand erinnert; nur die gebildeten Juden mögen noch daran gedacht haben und an die Frist, die die Prophezeiung setzt: nach drei Tagen auferstanden von den Toten.
II. Die Geschichte des dritten Tages: Auftritt mehrerer Marias
Drei lange Tage. Was passiert mit dem Leichnam Christi, dem geschändeten, geplagten, leichenblassen Körper des Herrn, am zweiten Tag, am Sabbath? Nun, an dieser Stelle erscheint – aber das ist nur in einem Evangelium überliefert – der Jude mit dem seltsamen Gerät wieder. Es ist eine Gestalt, die es zu einer eigenen Verschwörungstheorie gebracht hat, man könnte sogar sagen: zur größten Verschwörungstheorie des gesamten Christentums. Er heißt nämlich Joseph von Arimathäa, ist ein reicher Mann und ein heimlicher Anhänger Christi; und er bittet Pilatus nun um den Leichnam. Pilatus ist gerade fertig mit Händewaschen, die Hohepriester sind nicht da, weil sie den Sabbath heiligen, und Pilatus willigt ein: Da, nimm ihn mit, wenn du unbedingt willst, ich hab mich lange genug mit ihm gequält! Und Josef, der ein weiser und vorausschauender Jude war, bringt den Leichnam in sein eigenes, schon von langer Hand angelegtes Felsengrab ganz in der Nähe der Schädelstätte. Er wird ihn sorgfältig in weißes Leinen eingeschlagen haben, wie es der Brauch war, und dann hat er ihn in der Höhle niedergelegt; damit ihm aber nichts geschehe, wälzte er beim Gehen einen großen Felsbrocken vor den Eingang.
Inzwischen aber haben die Hohepriester Wind von der Sache bekommen, sie drängen zu Pilatus und beschwören ihn: Nun habe man endlich die unangenehme Sache mit diesem Parvenü-König der Juden erledigt, aber wenn man jetzt nicht wachsam sei, sei alles umsonst gewesen! Es wäre seinen Anhängern nämlich jederzeit zuzutrauen, dass sie den Leichnam stehlen und hinterher die Legende in die Welt setzten, er sei von den Toten auferstanden! Eine Wache müsse her, Sicherheitspersonal rund um die Uhr! Pilatus schaut auf seine Hände, unter einem Nagel scheint ihm noch ein unangenehmer Rest zu sitzen, er geht wieder zum Waschbecken. Na gut, sagt er, dann nehmt doch eure Häscher! Wenn ihr dann besser schlafen könnt!
Am Morgen des dritten Tages aber, nach Gerichtstag und Sabbath, am Rüsttag nämlich, rüsten sich einige Frauen in aller Frühe für den Gang zum Grab. Es ist das erste Mal, dass Frauen in dieser Geschichte auftauchen; einige sollen zwar auch der Kreuzigung beigewohnt haben, aber das war kaum der Rede wert. Von mehreren Marias ist bei den Evangelisten die Rede, Maria Magdalena, die errettete Sünderin, gehört ganz sicher dazu (wie noch zu jedem Jesus-Film), aber auch die Mütter einiger Jünger; von seiner eigenen Mutter ist komischerweise nicht die Rede. Sie werden geweint und geklagt haben am Sabbath, und vielleicht haben sie heimlich Salben und Öle vorbereitet, der Sabbatruhe zum Trotz. Und mit den Salben und frischen weißen Tüchern machen sie sich auf zum Grab, um den toten Leib zu salben und pflegen, wie das Frauen seit jeher getan haben; denn es ist ein Leib, den sie geboren haben, den sie genährt und gepflegt haben in Gesundheit und Krankheit, und sie hören nicht einfach damit auf, weil angeblich eine Seele entwichen ist. Und so gehen sie zum Grab, die Sonne geht gerade erst hinter den Hügeln auf, es wird wieder ein heißer Tag werden. Und als sie am Grab ankommen – doch hier beginnen sich die vier überlieferten Berichte der Evangelisten ein wenig zu unterscheiden, wie es auch nicht anders erwarten ist bei Zeugenberichten nach so langer Zeit (welche Maria war genau dabei? Bist du dir ganz sicher? Und war der Stein jetzt -?) Die Details sind dabei nicht uninteressant, ein jeder strickt ein wenig an einer anderen Geschichte dieses dritten Tages. Es könnten also die Schergen des Pilatus noch dagewesen sein, wahrscheinlich ziemlich übermüdet, leicht angetrunken und immer noch würfelspielend. Ebenso könnte der Stein noch dort gelegen haben, mit dem Joseph den Eingang verschlossen hatte; die Marias hatten sich auf dem Weg schon Sorgen gemacht, wie sie als schwache Frauen sich Zugang verschaffen sollten. Es könnte sein, dass genau in diesem Augenblick ein Engel des Herrn erschienen ist, vielleicht auch zwei; jedenfalls trugen er oder sie blendend weiße Kleider, und sie sagten als erstes, was jeder vernünftige Engel sagt, egal ob er zu Jungfrauen oder Hirten auf dem Felden oder Klageweibern spricht: „Fürchtet euch nicht!“ Und die Wirkung ist immer die gleiche, alle sind zu Tode erschrocken, die tapferen Hüter sollen sogar in Ohnmacht gefallen sein, vielleicht waren sie auch einfach schon vorher eingeschlafen. Aber die Frauen rappeln sich, zudem der Stein jetzt definitiv weg ist (war er eben überhaupt noch da gewesen?), und der oder die Engel laden sie ein in die Höhle. Zögernden Schritts wagt sich die eine oder die andere Maria vor, ganz sicher aber Maria Magdalena; und dort sehen sie die Leichentücher liegen, sorgsam gefaltet, sie selbst hätten es nicht besser gekonnt, blütenweiß und engelsrein trotz der Tortur, der Wunden, der Dornenkrone. Aber kein Leichnam mehr. Vielmehr – und nun werden die Geschichten noch diffuser, weichen immer stärker voneinander ab, nachdem der große Stein der Geschichte hinter uns liegt und wir es gesehen haben, mit eigenen Augen gesehen, das leere Grab: Ist es nun Christus selbst, der zu den zitternden Frauen spricht, sind es ein oder zwei Engel des Herrn, egal – die Marias werden jedenfalls instruiert, die frohe Botschaft zu verbreiten, gleich, sofort, ohne Aufschub sollen sie zu den Jüngern gehen, die noch anwesend sind und ihnen sagen: Der Herr sei auferstanden, am dritten Tage sei er wahrhaftig auferstanden von den Toten! Die Frauen ziehen ab, sie berichten auftragsgemäß jedem, den sie gerade antreffen, und natürlich glaubt ihnen niemand. Sind ja nur Frauen, mögen sie gedacht haben. Da müssen schon genauere Angaben her: Auf dem Weg nach Emmaus, ja, dort werde man ihn sehen, die ewigen männlichen Zweifler dürfen dann sogar den Finger in die Wunde legen (immerhin, Geburt des Osterspaziergangs und einer ziemlich tauglichen Metapher). Die Marias aber zerstreuen sich wieder, während die Apostel ausziehen werden die Welt zu erobern. Die Geschichte vom dritten Tag jedoch verschwindet samt allen weiblichen Nebenfiguren im Abspann. Nur manchmal denke ich, es könnte der innigste, der menschlichste, der weiblichste Moment der ganzen Ostergeschichte gewesen sein: wie die Marias dastanden, mit Salben und Tüchern in den abgearbeiteten Händen, und wie sie mit vom Weinen geröteten Augen in einer Mischung aus Panik, Jubel und tiefster Verunsicherung auf ein leeres Grab schauten, wo ihr Liebstes gelegen hatte.
III. Nachspiel: Fortleben in Verschwörungstheorien
Natürlich wurde Joseph von Arimathäa dann von den Hohepriestern angeklagt, den Leichnam Christi entführt zu haben; er überlebte die angeordnete Kerkerhaft wundersamerweise, indem er jeden Tag einen Schluck vom Blut Christi aus dem Kelch nahm, mit dem er es unter dem Kreuz aufgefangen hatten und der sich niemals leerte. Vielmehr trug er ihn immer noch wohlgefüllt nach seiner Freilassung in einem Boot über das weite Meer nach England, wo er dann als Heiliger Gral die Phantasien des frühmittelalterlichen Europas eroberte und bis heute Geschichten um Geschichten zeugt. Aber auch Maria Magdalena schaffte es übers Meer, zusammen mit einer weiteren Maria, angeblich auch mit einer schwarzen Dienerin namens Sarah (so berichten es die Apokryphen); sie landeten in der Provence, wo noch heute die ‚Schwarze Madonna‘ in Saintes-Maries-de-la-Mer verehrt wird. Verschwörungstheorien müssen niemals auferstehen, sie haben schon das ewige Leben.
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