Was macht man in seiner Freizeit – der neuen Normalität -, wenn Ausstellungshäuser geschlossen sind und man keine Lust mehr auf Lesen oder Fernsehen hat? Was tun, wenn der eigene Garten aussieht, als würde man an einem Schrebergarten-Wettbewerb teilnehmen? Wie damit umgehen, wenn man sich 20 Jahre älter fühlt, weil man mittlerweile jeden Spazierweg vor der Haustür kennt wie einst die Großeltern? Ich glaube, es ist an der Zeit, selbst kreativ zu werden!
Getreu dem Motto von Joseph Beuys, dass jeder Mensch ein Künstler ist, habe ich Ende letzten Jahres eine Staffelei, Ölfarben, Pinsel und Leinwände bestellt und einfach losgelegt. Auf Youtube gibt es zahlreiche Online-Tutorials für Malerei. Kunst ist das in den meisten Fällen noch nicht, aber eine gute Lehre für den Umgang mit Farben, das Beachten von Proportionen oder dem Spiel von Licht und Schatten. Zudem habe ich das Glück, dass meine Mutter in der Kunst aktiv ist und mich kritisch berät. Ich bin mit meiner neuen Freizeitgestaltung nicht alleine: Viele entdecken gerade die Kunst für sich. Was für mich exklusiv meine Mutter ist, ist für andere Bob Ross: Der vor über 25 Jahren verstorbene Fernseh-Künstler entwickelt derzeit einen neuen Kultstatus. Millionen von Zuschauer*innen ahmen in der Pandemie dem Gute-Laune-Lockenkopfkünstler nach: Sie malen unter seiner Anleitung Landschaftsbilder ohne Zivilisation, dafür jedes Bild mit schneebedeckten Bergen und belaubten Bäumen im Vordergrund. Auf den Bildern ist die Welt in Ordnung und sie sind gleichzeitig eine Flucht aus der Welt in die Kunst und Natur.
Da ich ‚die Welt‘ allerdings aktuell vermisse und mir die Natur langsam gehörig auf den Geist geht, widme ich mich in der Malerei lieber ‚meinen‘ Themen: Literatur und Philosophie. Warum sie nicht zu Kunstwerken verarbeiten? Literatur ist schließlich immer ein eigener Kosmos, eine angebotene Perspektive auf die Welt oder ein klitzekleiner literarisch verarbeiteter Ausschnitt von ihr. Und Philosophie: Nun ja, sie ist das Streben nach Erkenntnis über den Sinn des Lebens und geht den Fragen nach, wer wir sind, woher wir kommen und wohin wir gehen. Momentan gehen wir ja im tatsächlichen Leben nicht sonderlich weit – gewünscht nur maximal 15 Kilometer von unserem Haus entfernt und bitte auch nirgendwohin nach 21 Uhr. Umso mehr lohnen sich die großen Fragen der Philosophie, wohin wir als Gesellschaft gehen sowie ein Rückblick, woher wir eigentlich kommen…
Ich beginne meine (zugegeben noch sehr ausbaufähige!) künstlerische Auseinandersetzung mit Simone de Beauvoir (1908-1986), der französischen Philosophin, Schriftstellerin und Feministin. Sie war eine Intellektuelle, die es als jüngste Frau ihr Philosophiestudium an der Pariser Sorbonne ablegte. Beauvoir arbeitete mit Jean-Paul Satre zusammen, mit dem sie auch in einer offenen Beziehung lebte. Eines ihrer bekanntesten Werke ist La deuxieme sexe (Das andere Geschlecht), das sie 1949 herausbrachte. Daraus bekannt ist vor allem ein Satz: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ Beauvoir konstatiert in diesem Werk, dass das Schicksal einer Frau und ihr Lebenssinn nicht vorbestimmt seien, wie es von Männern propagiert werde. Frauen sollten genauso uneingeschränkt ihr Leben selbst gestalten dürfen wie Männer und nicht länger als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Beauvoir strebt nach rechtlicher und gesellschaftlicher Gleichheit zwischen den Geschlechtern trotz aller Unterschiedlichkeiten von Mann und Frau. Diese ‚Unterschiedlichkeit‘ definiert sie bei den Frauen als ‚Das Andere‘.
Unsere heutigen Debatten über Geschlechtergerechtigkeit sind von Beauvoirs Grundlagenwerk beeinflusst, wenngleich dieses natürlich im Laufe der Zeit weiterentwickelt wurde. Weitere Infos zu Simone Beauvoir gibt es in einem fünfminütigen Video auf TED.
Für mein Bild habe ich rund drei Monate Zeitungsbilder gesammelt, die mit dem heutigen ‚Frau sein‘ zu tun haben. Heute können wir – zumindest in den westlichen Ländern – so ziemlich alles sein: Politikerin oder Künstlerin, Intellektuelle oder Pop-Sternchen, Hausfrau oder Femme fatale. Dementsprechend vielfältig sind die Zeitungsausschnitte, die ich mit Bastelleim auf die schwarz grundierte Leinwand klebte. Kaum getrocknet entfremdete ich die Bilder, indem ich sie kolorierte, übermalte oder collagenartig in neue Zusammenhänge stellte. Mittelpunkt bleibt das Porträt von Simone de Beauvoir, das ich im Hinblick auf ihre historische Bedeutung in schwarz-weiß malte. Nur ihr Mund ist rot (Interpretationen erlaubt!). Später machte ich die Collage um Simone de Beauvoir herum mit kräftigen Pinselstrichen zu einer Einheit und stellte die Schrift im Graffiti-Stil „Wow Simone!“ in den Fokus. Tadaaa: „Wow Simone“ – mein erstes Corona-Kunstwerk!
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