Eine Neujahrsfantasie
Kann es wahr sein, oder träume ich? Kann es sein, dass ich, als ich in der tiefsten Totenstille der Nacht (falls die Nacht jemals tot ist) über den Tavistock Square fahre, auf der Straße vor mir eine Herde Elefanten erkenne? Groß, grau, seelenruhig, begleitet von einem Mann mit einem biegsamen Stock, meine ich, sie durch die Straßen von Bloomsbury trotten zu sehen, ihre Köpfe schwingend, hin und her, und ihre Rüssel wringend, und die Luft der kühlen Sommernacht genießend. Langsam passiere ich sie; es scheint sie nicht zu interessieren. Ich lasse sie hinter mir; in meinem Rückspiegel sehe ich sie, tapsend, wedelnd, pompös, gelassen, wie sie ihre geschmeidigen Rüssel verknoten, um mich zu erheitern, so als ob sie auf ihren angestammten Dschungelpfaden wandelten.
Angestammt? Waren nicht Elefanten einst auch auf dieser Insel heimisch? Durchstreiften sie nicht unsere verschlungenen Wälder und dschungeligen Sümpfe und tröteten fröhlich von einem zum anderen, so wie jetzt Kühe auf unseren Weiden tröten? Sind sie vielleicht niemals ganz verschwunden gewesen und marschieren immer noch in einer Sommernacht hinaus, um frische Luft zu schnappen? Stapfen sie über unsere wohlgehegten Plätze, brechen Äste ab von den Bäumen in den Gärten und fressen sie, eines ihrer kleinen Augen immer wachsam geöffnet, ihres Erzfeindes, des Drachen wegen? Sucht die Elefant-Frau vergeblich nach dem Mandragora-Baum, damit ihr Ehegatte davon isst und sich ihr zuwendet und ihr die kleinen Elefanten gibt, nach denen sie (nie aber er!), wie man sagt, sich zeitweilig so sehr sehnt? Und wenn die Stunde dieser kleinen Geschöpfe gekommen ist, trottet sie dann in Richtung Themse, am Ufer entlang und sucht nach Stufen hinab zum Fluss, damit sie sie im Wasser austragen kann und damit außerhalb der Reichweite des Drachen? Und geht die Herde immer dorthin, um zu trinken? Denn sie trinken keinen Wein, sagt man uns, außer im Krieg, wenn sie sich gerne betrinken; sondern saugen ganze Ströme Wassers aus, und schlammig muss es sein, denn sie trinken nichts, wenn sie ihren eigenen Schatten sehen darin.
Ich erinnere mich an andere Dinge, die ich über Elefanten gehört habe: wie sie Mäuse hassen, aber zierliche Blumen lieben, die sie in Körben sammeln; und dass sie das Futter in ihren Ställen so lange nicht fressen, bis sie die Futterkrippen mit diesen Nasenschmeichlern geschmückt haben. Ich erinnere mich, wie keusch sie sind, und dass sie den Ehebruch nicht kennen; wie sie ihre Jungen lieben und verteidigen; wie nicht der kleinste Hund diensteifriger und fügsamer wird, auch wenn sie in ihrer Masse lebenden Bergen gleichen; wie der afrikanische Elefant einen solchen Minderwertigkeitskomplex hat, dass er, wenn er einen indischen Elefanten nur sieht, erzittert und weiter eilt, um schnellstens außer Sichtweite zu kommen.
Ich denke an ihren Patriotismus; wie sehr sie ihre eigenen Länder lieben, und dass sie nicht ins Ausland gehen, es sei denn, ihre Anführer schwüren einen feierlichen Eid, dass sie zurückkehren werden: Sie werden trotzdem immer weinen. Die Elefanten, an denen ich gerade vorbeigekommen bin, haben, glaube ich, nicht geweint; sie müssen daher in diesem Land heimisch sein.
Ich erinnere mich, wie sie, wenn sie versehentlich ein Chamäleon samt seinen Blättern gefressen haben, sterben müssen, sofern sie nicht sofort eine wilde Olive zu sich nehmen; dass sie so liebevoll zu ihren Mitgeschöpfen sind, dass sie niemals allein essen, sondern einander zu ihren Festen einladen, genau wie vernünftige, zivilisierte Menschen; dass die Troglodyten sie angreifen, indem sie von Bäumen herab auf ihren Rücken springen und sie mit in Schlangengalle getauchten Pfeilen benetzen; wie sie bei Neumond in großen Scharen zusammenkommen, um in Flüssen zu baden, einander zu beschimpfen und ihre Kinder zu lehren, das Gleiche zu tun. Wenn sie einem Mann begegnen, der sich in der Wildnis verirrt hat, werden sie ihm zuerst aus dem Weg gehen, um ihn nicht zu verschrecken, und dann werden sie an ihm vorbeiziehen und ihm so den Weg weisen. Wie sie Kriegstruppen im Kampf furchtlos ins Angesicht sehen und sie überwältigen, aber vor dem leisesten Geräusch eines Schweins fliehen; und dass sie, genau wie das Einhorn, junge Mädchen lieben, und wenn diese singen, werden sie kommen und so lange zuhören, bis sie einschlafen.
Noch weitere ihrer liebenswürdigen Gewohnheiten fallen mir ein: dass sie ausgezeichnete Linguisten sind und die menschlichen Sprachen verstehen; wie sie sich an ihre Pflichten gewissenhaft erinnern, die Liebe, den Ruhm, Güte und Ehrlichkeit, Klugheit und Billigkeit preisen; wie ehrfürchtig sie Sonne, Mond, Planeten und Sterne verehren; wie sie die einfallsreichsten Tricks erlernen können, wie zum Beispiel Seile hochzuklettern, mit dem Kopf voran wieder nach unten zu rutschen und dabei Pfeile in die Luft zu schleudern.
Und falls die Griechen uns nichts Falsches lehren:
Schreiben sie gar mit ihren krummen Rüsseln!
Sie sind auch großartige Tänzer, wenn auch zuweilen auf eine etwas ungeschliffene und unordentliche Art und Weise; und wunderbar schüchtern und sterben leicht vor Scham. Es empfiehlt sich nicht, mit einem Elefanten sein Spiel zu treiben: Sie vergessen bekanntlich nie.
Ich erinnere mich auch daran, dass große Eroberer sie eingesetzt haben: Hannibal in den Alpen; Alexander; Bacchus, der hinter zweien von ihnen durch Indien kutschierte; Pompeius, der nach der Eroberung Afrikas ebenfalls auf einer von zwei Elefanten gezogenen Kutsche nach Rom zurückkehrte, doch sie schafften es nicht, nebeneinander durch die Tore der Stadt zu kommen.
An all diese Heldentaten und Charakterzüge der Elefanten erinnere ich mich, und an viel mehr noch, während ich durch die faden, hell erleuchteten Straßen Londons nach Hause fahre. Die Elefanten werden, während ich über sie nachsinne, so außerordentlich, so zum Inbegriff all dessen, was ich bewundere – himmelhoch aufragend, weit mehr als nur ein Vieh und kaum weniger als Gott –, dass ich, als ich das Britische Museum erreiche, mir ganz sicher bin, niemals auf dem Tavistock Square frei herumstreunende Elefanten gesehen zu haben. Sie waren Geister, Träume nur, nicht mehr aus Fleisch und Blut als die beiden Löwen, die die Hintertür des Museums bewachen. Ich denke so an sie, wie der Geschichtenschreiber der Reise nach Ophir über Elefanten in Peru dachte. Kein Elefant, so sagte er, könne nach Peru kommen, es sei denn durch ein Wunder, da die kalten und hohen Hügel rundherum für dieses Tier unpassierbar seien. Ja, sagte er, ich behaupte ferner, man könne als Elefant in Peru gar nicht leben, es sei denn durch ein Wunder. Denn die Hügel sind extrem kalt und die Täler trocken, wohingegen der Elefant sich an Gegenden erfreut, die sehr heiß und sehr feucht sind. Aber ich bin selbst schuld, so schließt er, weil ich mich mit Elefanten in Amerika herumgeschlagen habe, die doch weniger als ein Schatten sind, und also: Luftschlösser belagert. Vielleicht waren meine nächtlichen Elefanten in Bloomsbury auch nicht mehr als das. Dennoch, ich schwöre! Sie bewegten sich eine Stunde vor der Mittsommerdämmerung, mächtig und sanft und elefantengrau, die schweren Köpfe schwingend und die geschmeidigen Rüssel wringend, über den Tavistock Square in Bloomsbury hinweg.
Und wirklich, nur der Himmel weiß, wo das alles enden wird, wenn das Londoner Verkehrsproblem jetzt durch Elefanten noch komplizierter wird. Als nächstes werden wir noch Dinosaurier haben!
(erstmals in deutscher Übersetzung, aus: Personal Pleasures, 1935)
Dame Emilie Rose Macaulay, DBE (* 1. August 1881 in Rugby, Warwickshire, England; † 30. Oktober 1958 in London), auch als Emilie bekannt geworden, war eine britische Schriftstellerin. Sie veröffentlichte 35 Bücher, in der Hauptsache Romane, daneben aber auch Biographien und Reiseliteratur. (Wikipedia)
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