EIN GASTBEITRAG VON SEBASTIAN HELBIG
Christa Wolf erzählt in der Liebesgeschichte Der geteilte Himmel (1963) das Problem der deutschen Teilung nach.
Die Handlung von Der geteilte Himmel wird von Christa Wolf weder zeitlich noch geografisch genau in die Geschichte der deutschen Teilung eingeordnet. Anhand verschiedenster Hinweise lässt sich die Erzählung jedoch in das Jahr 1961, kurz vor den Bau der Mauer, und in die ostdeutsche Stadt Halle verorten. Die Geschichte beginnt nicht in Halle selbst, sondern in einem kleinen, ländlichen Dorf. Hier trifft die Protagonistin Rita Seidel das erste Mal auf ihre große Liebe Manfred Herrfurth. Manfred ist zu Besuch in Ritas Dorf, um sich bei einer Verwandten von seiner Promotion als Chemiker zu erholen. Bei einem Tanzabend verlieben sich die beiden. Als Rita von einem Geschichtsdozenten namens Schwarzenbach für die Lehrerinnenausbildung angeworben wird, folgt sie Manfred in die Stadt. Fortan lebt sie mit ihrem Verlobten bei dessen Eltern in einem herrschaftlichen Haus, eingekeilt zwischen der keifenden Mutter und dem heuchlerischen Vater Manfreds einerseits und dem seine Eltern verachtenden Sohn andererseits. In diesem Hexenkessel wird bald deutlich, dass Manfred, wie viele seiner Generation, verloren ist. So fragt er Rita im Gespräch über seine Eltern: „Warum wollen sie nicht wahrhaben, daß wir alle ohne Eltern aufgewachsen sind?“ Und so erstaunt es nicht, dass Christa Wolf mit Manfred eine zutiefst verletzliche und darum zynische Figur geschaffen hat. In einem Brief an Rita schreibt der junge Mann etwa Folgendes:
„Was heißt hier Gesellschaftsordnung, wenn der Bodensatz der Geschichte überall das Unglück und die Angst des einzelnen ist …“
Gerade dieser unglaubliche Zynismus lässt in Kombination mit Wolfs geschicktem Spiel verschiedener Zeitebenen keinen Zweifel am unglücklichen Ende der Beziehung von Rita und Manfred. Schnell ist klar, dass Manfred sich in den Westen absetzen und bald eine innerdeutsche Grenze und später gar eine Mauer das Liebespaar trennen wird. Es ist tragisch, dass Rita erst zu spät erkennt, was eigentlich geschehen ist:
„Ich weiß nicht, denkt Rita, wann ihm klar wurde, daß er das Leben unerträglich fand. Ich weiß nicht, wann wir anfingen, aneinander vorbeizureden.“
Diese Tragik erlaubt es Christa Wolf, anhand einer zerbrochenen Liebe die Teilung Deutschlands abzuhandeln und zu verarbeiten. Es ist der Autorin hoch anzurechnen, dass sie sich nicht hinter politischem Dogmatismus verschanzt und beispielsweise Manfreds Flucht nach Westberlin allzu harsch verurteilt. Stattdessen entfaltet sie mit Der geteilte Himmel eine Studie, welche über die Alternative zwischen Ost und West vorbehaltslos nachdenkt. Für Christa Wolf ist dies insofern typisch, als die Schriftstellerin eine überzeugte Sozialistin war und an das Projekt DDR glaubte, dies jedoch ohne blinden Fanatismus und immer gepaart mit einer humanen Skepsis. Dass Rita sich aus Überzeugung für den Osten entscheiden wird, ist bereits zu Beginn des Buchs kein Geheimnis. Doch zu welchem Preis? Wird sie an der verlorenen Liebe zerbrechen? Das sind die eigentlich interessanten Fragen, welche die Leserschaft durch das Buch vorantreiben.
Interessant ist auch Christa Wolfs Entscheid, den ehemaligen nationalsozialistischen Leutnant Herbert Kuhl das Resümee ziehen zu lassen. Noch einmal wird die Frage der deutschen Teilung und der Alternative Sozialismus verdichtet widergespiegelt. Kuhl stellt nämlich fest: „Aus jedem Menschen kann man einen Schweinehund machen.“ Dieser eine Satz, in seinem Grundton pessimistisch, impliziert auch, dass der Mensch vieles sein kann: ein Schwein, aber eben auch ein Vorbild, eine bessere Version seiner selbst. Und gerade diese Möglichkeit macht Der geteilte Himmel zu einem Werk, das über seine Zeit und über den Kontext des Sozialismus hinaus Gültigkeit besitzt.
Christa Wolf: Der geteilte Himmel.
dtv. München 2013. 238 S., Euro 10.90
Bild: Aus dem gleichnamigen Film aus dem Jahr 1964.
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