Im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe kann man noch bis zum 2.6. eine kompakte und solide gemachte Ausstellung zu Mykene anschauen. Mykene ist eine der frühesten Hochkulturen auf europäischem Boden (von ca. 3.500 v.Chr. bis ca. 1200 v.Chr.), über die auch die Forschung nicht allzu viel weiß. Brockenweise sind vielleicht noch ein paar Reste in das humanistische Bildungswissen eingedrungen: Reisende werden sich an das gewaltige Löwentor erinnern, durch das man in die Stadt gelangt, von der nur Ruinen geblieben sind; die Löwen haben keine Köpfe mehr, es ist ein etwas verstörender Anblick, aber man kann noch ahnen, dass die sagenhaften Kyklopen die Mauern gebaut haben sollen. Heinrich Schliemann hat hier gegraben, nachdem er mit Troja fertig war, er suchte das Grab des sagenhaften Agamemnon – und genau, Agamemnon, das war der Heerführer der Griechen gegen Troja, er sollte Helena zurückholen, die Schwester seiner Gemahlin Klytaimnestra; und Klytaimnestra war die Mutter von Iphigenie, Orestes und Elektra, also sozusagen dem Stammpersonal der attischen Tragödie und auch in der deutschen Klassik sehr beliebt als tragische Figur.
Mykene also hat unser aller Vorgeschichte geprägt. Der für seine originelle Wahl von beschreibenden Adjektiven bekannte Homer bezeichnet es wahlweise als das „breitstraßige“ und das „goldene“ Mykene. Gold kann man genügend sehen in der Karlsruher Ausstellung, die berühmte Goldmaske des Agamemnon, auf der er sehr mondgesichtig eingedrückt erscheint (es ist aber gar nicht seine, haben neuere Datierungen ergeben), und die entzückendsten Schmuckstücke, darunter feinziselierte Siegelringe, die man am liebsten mitnehmen möchte. Daneben sieht man vor allem – Kriegsgerät, darunter einen etwas befremdlichen Helm aus Wildschweinzähnen, aber auch eine allerliebste Sammlung von bunten kleinen Knöpfen. Natürlich war Mykene, wie alle Frühkulturen, ein Militärstaat; natürlich war dieser geprägt von einer Herrschaftsschicht, die – beinahe? – ausschließlich männlich war; und natürlich haben die Mykener ihren Toten – und aus Gräbern wissen wir das wenige, was wir über Mykene wissen – nicht nur goldene Siegelringe, sondern auch kupferne Schwerter mitgegeben auf der Reise in die Unterwelt. Man kann es also, und das soll deutlich gesagt sein, weder den Forschern noch den Ausstellungsmachern vorwerfen, dass Frauen in dieser Ausstellung – weitgehend abwesend sind; sie haben sich Mühe gegeben, es gibt immerhin eine Tafel zu dem Thema, und es ist nicht ihre Schuld, dass man einfach nichts weiß!
Insofern, Bildungsbürgerinnen: Geht nach Karlsruhe, und schaut das an, was von Mykene noch da ist – so schnell wird es nicht wieder zu uns kommen, und selbst in Griechenland sieht man nicht viel mehr! Und dann steht auf von dem hölzernen Thron im nachgebauten Palastsaal (man darf sich wirklich draufsetzen!), geht weiter und überlegt, warum man nichts weiß von den Frauen in einer der frühesten Hochkulturen auf europäischem Boden. Was man zu wissen meint, ist (und das erläutert die Ausstellung auch auf einer Tafel): Es gab einzelne Frauen, die wahrscheinlich hochgestellte Funktionen im religiösen Kult hatten – Schrifttafeln berichten von einer „Schlüsselhalterin“, sie hieß Karpathia und hatte zwei Stücke Land (die sie aber nicht ordentlich verwaltete, klagt die Tafel). Wir begrüßen Karpathia, und wir finden es interessant, dass Frauen in der Antike durchaus hohe Stellungen haben durften in der religiösen Hierarchie, das sähe man heute auch gern wieder! Daneben durften Frauen auch arbeiten; vor allem in der Textilindustrie, die blühte nämlich und war schon recht spezialisiert, und hier waren Frauen offenbar als kompetente Hilfskräfte gefragt. Ein größerer Teil von ihnen allerdings waren wohl Sklavinnen, auf einem der vielen Kriegszüge der Männer eingesammelt samt Kindern und dann in die Textilfabrik geschickt. Textilien aber – nun, sie überleben die Zähne der Zeit nicht, nicht zweitausend Jahre und mehr jedenfalls, wie das eine oder andere rostige Schwert. Aber immerhin, wir sehen: Es gab arbeitende Frauen, auch wenn man nicht ganz genau weiß, ob das eine gute oder eine schlechte Sache war (es war wohl, wie die meisten Dinge in der antiken wie der modernen Welt, eine Mischung aus beiden, dicht verwoben wie ein – nun, vielleicht ein Helm aus Eberzähnen?).
Zudem hat man ein paar wenige Anhaltspunkte, wie sie aussieht, die mykenische Frau – also, die der Oberschicht natürlich, Klytaimnestra vielleicht und ihre Töchter Iphigenie und Elektra, die Schlüsselträgerin Karpathia: Sie war elegant gekleidet, sehr betont auf Figur – und falls der minoische Stil, auf den ein Großteil der mykenischen Palastkultur zurückgeht, schon en vogue war, trug sie ein sehr eng auf Taille geschnürtes langes Kleid, das oben in einer Art Korsett die Brüste frei ließ; so war jedenfalls auch die berühmte Schlangenpredigerin aus Kreta bekleidet. Ihre Haare waren schwarz und lockig. Da sie meist im Profil gezeigt wird, neigt sie zum Doppelkinn trotz ihrer Schlankheit, die Nase ist ein wenig knubbelig. Sie hatte jedenfalls sehr schöne, reichverzierte Kämme und Spiegel; sie verfügte zierliche Kosmetikgefäße und war ziemlich sicher auch geschminkt. Hilft uns das, sehen wir Iphigenie besser vorm Spiegel, das schwarze Haar in Locken legend und schmückende Bänder hindurch flechtend? – bevor sie auf dem Altar geopfert werden soll, von ihrem eigenen Vater, dem großen Kriegsherrn Agamemnon, wofür ihn Klytaimnestra hasste und Rache schwor und sie auch bekam, denn nachdem Agamemnon endlich siegreich zurückkam aus Troja, ermordete sie ihn mit ihrem Liebhaber und seine trojanische Geisel, die Seherin Kassandra, gleich dazu (was man in Christa Wolfs Erzählung Kassandra nachlesen kann, nein: nachlesen sollte, nein: nachlesen muss, vor allem wenn man etwas über Frauen in der frühen Antike wissen will!).
Mykene übrigens, das nur zum Schluss und während wir schon beinahe wieder am Ausgang stehen, wir haben aber vorher die Toilette im blauen Raum mit ihrem neckischen Logo bewundert – Mykene wurde nach einer Frau benannt, nach der gleichnamigen Najade nämlich; und von ihr schreibt Homer in der Odyssee – es geht an dieser Stelle aber eigentlich um Penelope, die listige Gattin des listenreichen Odysseus, die schon Jahre lang die Freier trickreich an der Nase herumgeführt hatte –, Homer schreibt also:
Hält sie [Penelope] jedoch noch lange die Söhne Achaias zum Narren,
stolz sich der Gaben bewußt, die ihr Athene verliehen,
herrliche Handarbeiten zu schaffen, verständig zu denken,
Listen zu spinnen, wie wir sie noch niemals vernahmen von einer
jener lockengeschmückten achaischen Frauen der Vorzeit,
nicht von Alkmene und Tyro und der bekränzten Mycene –
Offensichtlich hat hier also schon eine Emanzipationsbewegung stattgefunden! Denn Athene hat die Frauen inzwischen nicht nur gelehrt, sich die Locken mit Kränzen zu schmücken – wofür die bekränzte Mycene steht –, sondern, man höre und staune: verständig zu denken! Ach, man muss für kleine Dinge dankbar sein. Wir hatten am Eingang zu Mykene begonnen, staunend waren wir vor den kyklopischen Stadtmauern mit den kopflosen Löwen verweilt. Wir hatten die Gräber durchwandert und von den Kriegen gelesen, wir hatten den großen Thronsaal gesehen (der in Knossos ist zwar schöner, aber notfalls reicht auch Karlsruhe) und ein wenig über die Goldmaske geschmunzelt. Aber dann hatten wir uns auf die Suche gemacht nach Klytaimenstra, wir hatten Karpathia kennengelernt und die antike Textil-Facharbeiterin, wir hatten schließlich ein wenig neidvoll die schlanke Taille der Priesterinnen bewundert – aber am Ende haben wir gelernt, dass Homer, ein Männerautor, wenn es je einen gegeben hat, auch freundliche Sätze über antike Frauen geschrieben hat (sie stehen aber nicht in der Ausstellung, sondern nur hier, bei schoengeistinnen.de! Wenn das den Besuch nicht wert war….
Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Sonderausstellung, 1.12.2018-2.6.2019
http://www.landesmuseum.de/website/Deutsch/Sonderausstellungen/Aktuell/Mykene.htm
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