In den Medien wird alle Jahre wieder in der Vorweihnachtszeit das Fehlen neuer überzeugender Weihnachtsfilme beklagt. Nun ist es ja nicht so, dass man jedes Jahr einen neuen Weihnachtsfilm braucht, es ist ja gerade die Wiederholung, die man an Weihnachten schätzt. Und deshalb gibt es natürlich die unsterblichen Favoriten, die man gut mit alten Freunden vor dem Kamin ausdiskutieren und bewerten kann. Insgesamt ist aber wohl unbestritten, dass hier Hollywood die Nase vorn hat. Das mag bei mir mit meinem persönlichen Trauma zusammenhängen, das ich jetzt einfach mal das Pan-Tau-Trauma nenne: Ich hasse tschechische Märchenverfilmungen, genauso wie ich Pan Tau schon immer gehasst habe; unheimlich war das, genau wie die angeblich kindgerechten Märchen der Brüder Grimm (Horrorgeschichten, allesamt), und wenn es nicht unheimlich war, war es dumm, ästhetisch anspruchslos, sprachlich hirnlos und insgesamt von nicht zu überbietender Geschmackslosigkeit. Die Prinzen mit ihren Eisenherz-Frisuren waren so dümmlich, dass man schon fast lieber einen hässlichen Zwerg geheiratet hätte, der hatte wenigstens einen Ansatz von Charakter; und in den Prinzessinnen-Kleidern wollte man nicht einmal begraben sein, so sehr sahen sie nach billigem Polyester und Bonbon-Rosa aus. Dazu noch eine ziemlich primitive Variante von Volkssozialismus und Umverteilung, an die man noch nicht einmal als Kind glauben mochte. Nein, dann liebe ordentliche, solide gemacht Hollywood-Filme, vorzugsweise nicht mit Menschen.
Natürlich sind dann auch die Geschichten eher amerikanisch: Rudolph ist nicht nur ein Rentier mit einer roten Nase (und als solches ja ziemlich unbestreitbar niedlich, da kann man schon ästhetisch wenig falsch machen, das hat die Natur entworfen, die kann das!), sondern auch ein underdog, der von der Herde gemobbt wird (und ach, wer weiß die Namen, alle sieben, als da waren Binker und Blitzer, und da hört es schon auf), die nicht nur aus mehr Rentieren (immer noch niedlich), sondern bullies besteht. Die underdog-bullie-Story ist die amerikanischste aller Geschichte, neben der romantischen Liebeskomödie, zu der wir noch kommen, und das sagt ja auch etwas über das Mutterland der Demokratie, was niemand hören will, schon gar nicht zu Weihnachten. Oder der Polarexpress, den wir auch ziemlich mochten, als das Kind klein war: Denn Eisenbahnen funktionieren auch immer, und wenn sie dann noch durch Schneelandschaften zum Nordpol fahren, wo Santa mit seinen helfenden Elfen (helfende Elfen! Ach, wenn doch einmal ein tschechisches Weihnachtsmärchen so viel Sprachwitz gehabt hätte!) Tausende von bunten Päckchen verpackt, da möchte man doch gleich mitfahren. Vielleicht gäbe es sogar Glühwein an Bord? Na gut, eine große Hymne auf den Konsum, so what? Es kommen Eisenbahnen und Elfen vor und Schnee. Das reicht!
Was aber eigentlich beklagt wurde in dem vorweihnachtlichen Medienrauschen, war das Fehlen neuer romantischer Liebeskomödien, vorzugsweise mit getrennten Familienbestandteilen, die über Weihnachten zusammenfinden, auf dem Empire State Building am besten, alle eine schöne große Weihnachts-Patchwork-Kuscheldecke (bis die Nähte wieder reißen). Das Muster ist auch beliebig wiederholbar, man tauscht halt die Gesichter aus (oder die Flicken der Decke); und es hat wenig mit Weihnachten zu tun, außer – und damit kommen wir zum nächsten Punkt, denn:
Denn es gibt ja schon längst den Weihnachtsklassiker schlechthin, der gleichzeitig moderne Aufbereitung von biblischen Weihnachts-essentials in Erzählform und vielfacher filmischer Umsetzung ist, nämlich Charles Dickens A Christmas Carol. Wie immer ist Wikipedia eine verlässliche Quelle von Erleuchtung, und das nicht nur zur Weihnachtszeit: Dickens, so lerne ich gerade, erfand nämlich mit der Geschichte um 1843 mehr oder weniger das Muster der viktorianischen Weihnachtsfeierlichkeiten für die Zukunft – glücklich wiedervereinigte Familie, Weihnachtsbaum, Essen und Geschenke und natürlich: Weihnachtslieder (inzwischen ist die ganze Geschichte auch verfilmt unter dem Titel Der Mann, der Weihnachten erfand, und das ist mein Weihnachtsfilm für dieses Jahr). Dickens hatte vorher, nichts Neues unter den Weihnachtssternen, andere Weihnachtsgeschichten gelesen und eine Armenschule besucht; er hatte die Erinnerungen aus seiner eigenen, eher ärmlichen Jugend vorrätig, und er hatte eine Art schriftstellerisches Erfolgsgen. Die fünfaktige Erlösung des geizigen Ebenezer Scrooge (der Name allein! Terry Pratchett würde es nicht besser können!) ist auf den Punkt geschrieben, ein perfektes Script nicht nur für die öffentlichen Vorlesungen, die Dickens selbst gern übernahm, sondern alle folgenden Verfilmungen.
Aber am liebsten ist mir und wird mir wohl auch immer bleiben: die Version mit den Muppets. Ebenezer Scrooge ist der einzige Mensch in diesem metaphysischen Puppentheater, und alle, sogar die kleinen ärmlichen Ratten, sind am Anfang menschlicher als er.
A Christmas Carol ist die Geschichte eines alten reichen weißen Mannes, der am Ende seines Lebens eine Erfahrung macht, die sein Leben noch einmal völlig auf den Kopf stellt; Lebenswende, das ist offenbar ein wichtiger Bestandteil der modernen Weihnachtsgeschichte, die Möglichkeit eines Neuanfangs, verkörpert in der Figur – na gut, eines Frosches und eines noch kleineren Frosches, Tiny Tim, der nicht sterben wird, dieses eine Mal wird Tiny Tim nicht sterben! Es ist eine Geschichte von armen und reichen Leuten, Hirten und Königen; und natürlich sind die Armen die Guten, alles andere wäre nun wirklich zu viel verlangt an Weihnachten. Aber es ist nicht ihre Armut, die sie gut macht, das wird oft verwechselt; es ist ihr Herz, das eine Hauptrolle spielt, es ist das Herz, wie es rein und unverdorben und weihnachtsweiß in Tiny Tim am lautesten schlägt. Und dass die Erscheinung – nun ja, aus drei Gespenstern besteht anstelle von Engeln des Herrn, was macht das schon für einen Unterschied? Es ist ein Weihnachtwunder, es geschieht mehrfach, und die Gespenster sagen zu Ebenzer Scrooge: Fürchte dich sehr! – was ganz sicher die bessere Botschaft ist in unseren krisengeschüttelten Zeiten; wir sollten uns alle sehr fürchten!
Und dazu können wir, ganz genau wie Scrooge und sein nächtlicher Besuch, ebenso gut in die Vergangenheit schauen wie in die die Gegenwart wie in die Zukunft – kein Heil, nirgends. Außer, vielleicht, es geschieht eine große Wende? „Zeitenwende“ ist nun leider ein Wort, das in diesem Jahr sehr missbraucht wurde. Ach, wenn man doch nur noch hoffen könnte! „Aber ganz ohne Hoffnung geht’s ja auch nicht“, schrieb eine Freundin zur Jahreswende; das wird das Wort zur Weihnacht!
(Fortsetzung folgt, mit neueren Weihnachtsgeschichten, noch unverfilmt)
Comments: no replies