Sie war Deutschlands erste Bestsellerautorin und eine Entrepreneurin auf dem deutschen Literaturmarkt. Mit ihrem Debütroman Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim (1771) schuf sie eine Protagonistin, die der intellektuellen Elite des 18. Jahrhunderts zum weiblichen Ideal werden sollte. Sie war die erste deutsche Herausgeberin einer Frauenzeitschrift – Pomona für Teutschlands Töchter. Mit dieser Zeitschrift sorgte sie fürs Familieneinkommen, als ihr Mann politisch gestürzt war, und lief damit der Frauenrolle jener Zeit zuwider, die auf den häuslichen, privaten Kreis beschränkt bleiben sollte. Sie war eine der ersten deutschen Frauen, die durch Europa reiste in einer Zeit, in der das alleinige Reisen von Frauen noch als skandalös galt. Ihre Reiseberichte publizierte sie dennoch. Sie selbst war eine der schillerndsten Figuren des 18. Jahrhunderts – unterhielt einen Literarischen Salon, in dem auch Goethe, Wieland und Jacobis verkehrten. Sophie von La Roche (1730-1807) – sie war so vieles und ist heute nahezu in Vergessenheit geraten.
Geboren ist sie 1730 als Sophie Gutermann von Gutershofen im bayrischen Kaufbeuren, als Tochter eines Arztes. Ihr Vater ermöglicht ihr eine breit angelegte „Mädchen-Bildung“. Sie verliebt sich im jugendlichen Alter in den italienischen Arzt Bianconi, der ihr Wissen weiter fördert. Sie wollen heiraten, doch das Vorhaben zerbricht an der Frage der religiösen Erziehung ihrer zukünftigen Kinder. Sophies Vater willigt nicht ein, die Kinder katholisch erziehen zu lassen, wie es Bianconi wünscht. Die Tochter muss vor den Augen ihres Vaters den Verlobungsring ihres Geliebten verbrennen. Das verzeiht sie ihm nicht.
Einige Zeit später lernt sie Christoph Martin Wieland kennen – damals ein junger Jura-Student, der seinen Platz in der Welt noch nicht gefunden hat. Wieland ist so von ihr entzückt, dass er angeblich nur wegen ihr mit dem Schreiben beginnt und später, erst sehr viel später, ein Autor von Weltrang wird. Heute gilt er in der Literaturwissenschaft als Wegbereiter der Weimarer Klassik. Vom künftigen Erfolg ihres Verlobten konnte Sophie Gutermann jedoch noch nichts ahnen. Sie löst die Verlobung auf – auch wegen der Intrigen von Wielands Eltern und der räumlichen Trennung von ihrem Verlobten – und geht eine Vernunftehe mit Georg Michael Frank von La Roche ein, dem vermutlich unehelichen Sohn des Grafen von Stadion. Dieser arbeitet als Staatsminister am kurfürstlichen Hof in Mainz. Sie wird Mutter von acht Kindern, von denen fünf das Erwachsenenalter erreichen. 1761 zieht die Familie aufs Schloss Warthausen bei Biberach an der Riß, wo Sophie 1766 mit dem Schreiben an ihrem ersten Roman beginnt: Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Impetus für den Roman ist die Traurigkeit darüber, dass ihre Kinder aus dem Haus sind. Darum will sie ein „papierenes Mädchen“ erziehen; Schreiben wird zum therapeutischen Akt.
Doch ich wollte nun einmal ein papierenes Mädchen erziehen, weil ich meine eigenen nicht mehr hatte, und da half mir meine Einbildungskraft aus der Verlegenheit und schuf den Plan zu Sophiens Geschichte. Ihre Eltern erhielten den Charakter der meinigen; ich benutzte Zufälle, die an einem benachbarten Hof sich ereigneten, und verwebte sie mit Sophiens Leben, welcher ich ganz natürlich meine Neigungen und Denkart schenkte, wie jeder Schriftsteller seine Lieblinge mit den seinigen auszustatten pflegt. (Sophie von La Roche, Briefe über Mannheim)
Der Roman mit dem Titel Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim erscheint anonym und wird von La Roches ehemaligen Verlobten Christoph Martin Wieland herausgegeben. Das Werk beschreibt das Leben der Protagonistin Sophie Sternheim, die im jugendlichen Alter verwaist am Gutshof ihres Onkels und dessen Frau aufwachsen soll. Dort beabsichtigen Onkel und Tante, Sophie Sternheim als Mätresse dem Fürsten zuzuführen. Sie entflieht diesem ihr zugedachten Schicksal. Sophie Sternheim ehelicht in einer geheimen Nacht und Nebel-Aktion einen Schurken namens Lord Derby. Dessen Charakter hatte sie falsch eingeschätzt – eine Vergewaltigung wird angedeutet und er nimmt sie anschließend gefangen. Es stellt sich heraus: Die Hochzeit war nur fingiert. An dieser Episode ist bei La Roche der englische Literatureinfluss zu erkennen, denn das Motiv der fingierten Hochzeit erinnert stark an Richardsons Clarissa (1748). Wie auch Richardson legte La Roche ihren Roman als Briefroman an, indem sie polyperspektivische Sichtweisen auf das Geschehen bietet.
Doch zurück zum Gang der Handlung: Auch aus dieser Situation mit Lord Derby kann sich Sophie Sternheim selbst befreien. Sie nimmt den Namen „Madame Leidens“ an und arbeitet karitativ an einer Gesindeschule. Doch sie wird von Lord Derby ein zweites Mal aufgespürt – hier eher aus Zufall – und in ein Verließ gesperrt. Aus dieser Gefangenschaft wird sie von ihrem späteren Ehemann gerettet. Der Briefroman endet mit Happy End – Liebe und Hochzeit. Die Protagonistin wird in der Rolle der Ehefrau glücklich. Beachtlich ist trotz des klassischen Endes, dass La Roche hier als Autorin im Rahmen ihrer Möglichkeiten im 18. Jahrhundert die Autonomie ihrer Protagonistin Sophie Sternheim beschreibt. Sie nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand, arbeitet und heiratet schließlich den Mann, den sie liebt. Das ist für die die damalige Zeit progressiv. Vor allem, wenn dies eine Frau schreibt.
Einer Frau spricht man im 18. Jahrhundert in der gängigen (männlichen) Meinung kein Genie in den künstlerischen Bereichen zu. Vielleicht lautet der Untertitel des Romans auch deswegen „Von einer Freundin derselben aus Originalpapieren und anderen zuverlässigen Quellen gezogen.“ La Roche fingiert damit Authentizität – Wieland suggeriert, die Autorin habe nie beabsichtigt, ihren Roman zu veröffentlichen. Es wird der Eindruck vermittelt, als beruhe die Geschichte auf wahren Begebenheiten. Wieland scheint sich unsicher zu sein, ob das Werk einer Frau den künstlerischen Ansprüchen der männlichen Literaturkritiker genügen kann, und macht sich darum für den pädagogischen Wert des Romans stark, durch den beim weiblichen Geschlecht „die Liebe zur Tugend“ befördert werden solle. So oder so: Das Werk verkauft sich gut. Es wird zum Bestseller. Und die Protagonistin Sophie Sternheim zum weiblichen Idealbild.
Und die Autorin Sophie von La Roche – sie wird über Nacht berühmt, denn schnell spricht sich herum, wer die Verfasserin dieses Romans ist. Die Leitdifferenz von Autorin und Protagonistin wird von der Leserschaft aufgehoben und Sophie von La Roche selbst als Idealbild, als „schöne Seele“ gefeiert. Es folgt eine rund 30-jährige Schaffensperiode der Autorin, in der sie noch zahlreiche Romane, Erzählungen und Artikel in ihrer Zeitschrift Pomona verfasst. An den Erfolg des Debütromans kann sie jedoch nicht mehr anschließen.
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