Elly Griffiths, The Stranger Diaries
Es war tatsächlich ein wenig spukig. Ich war aufgewacht und konnte nicht wieder einschlafen; ein guter Zeitpunkt, um endlich den spannenden Roman fertigzulesen, eine interessante Mischung aus Krimi und moderner gothic novel und wirklich sehr, sehr spannend: Elly Griffiths The Stranger Diaries. Um nicht allzu wach zu werden, ließ ich das Leselicht aus und blieb bei der dunklen Einstellung des Kindle. Die Katze, die gemerkt hatte, dass hier Aufmerksamkeit zu holen war, war schnell aufs Bett gesprungen und rieb den Kopf an der harten Kante des Lesegeräts, insgesamt sehr zufrieden mit der Entwicklung. Doch während ich in das Dickicht der Handlung versank, die – das sagte nicht nur der Blick auf den Lesestand – ihrem Ende mit Macht zudrängte, nahm ich aus den Augenwinkeln wahr, dass von draußen immer wieder ein Licht aufblitzte. Es kam, strahlte ein wenig in den Flur und verschwand. Dann kam es wieder, in unregelmäßigen Abstand. Mein wacher Verstand sagte mir, dass es sich um den Bewegungsmelder der Gartenlampe im Haus gegenüber handeln musste; wahrscheinlich war er defekt. Jetzt war das Licht wieder weg. Und wieder da. Es war sehr grell, im Unterschied zu den Schemen, die ich nur vage übers Bett hinweg in Richtung Tür wahrnahm; hatte sich da nicht etwas bewegt? Ja, es war die Katze gewesen, die genug den Kopf gegen den Kindle geboxt hatte. Das Licht ging wieder aus. Dann wieder an. Dann wieder aus (dreimal, das ist wichtig).
Doch das nur zum Rahmen. Und ich werde auch nicht die Handlung nacherzählen, sie ist geschickt gebaut und von einem gar nicht so hohen Gruselfaktor (der meist etwas allzu Triviales hat). Sondern das, was mir erst heute, bei der tageshellen Rekapitulation und in einem anderen Kontext auffiel, beschreiben: Nämlich dass sich an diesem Buch recht schön zeigen lässt, was es bedeutet (bedeuten kann!), wenn Bücher von Frauen geschrieben werden. Der erzählerische Gag, soviel kann sicherlich verraten werden, ist, die Handlung von drei sehr unterschiedlichen Frauen erzählen zu lassen: einer Polizistin, indischer Herkunft, lesbisch, tough; einer Englisch-Lehrerin, geschieden und alleinerziehend, extrem attraktiv und literaturverliebt, speziell in eine bestimmte gothic novel; und deren Tochter, hochintelligent, ironisch, sensibel und gleichzeitig auch tough, und dazu noch ein echtes Schreibtalent. Sie alle berichten abwechselnd in Tagebuchform, über einen gewissen Zeitraum hinweg; sie alle schreiben, natürlich, verschieden, genauso wie sie verschieden aussehen, leben und denken. Drei kluge Frauen, vielleicht ein wenig allzu klug; und drei exzellente Beobachterinnen. Sie sind damit nicht nur die Hauptfiguren; nein, sie sind gleichzeitig die einzigen Autorinnen, die die Leserin bekommt (na gut, abgesehen von einer gewissen Rahmenhandlung, dazu später). Ihr Blick in die Welt ist unserer, wird immer mehr unserer; und immer, wenn wir uns an die eine Perspektive gewöhnt haben, kommt die andere wieder an die Reihe und blickt aus einem anderen Winkel, durch andere Gläser, mit anderen Vor- und Nachurteilen. Aber immer: eindeutig weiblich!
Um sie herum bewegen sich noch eine Reihe anderer eindrucksvoller Frauen: die ältere „weiße Hexe“ (deren Tagebuch man eigentlich zur Abrundung sehr, sehr gern auch noch hätte); die beste Freundin, ermordet; die schottische Urgroßmutter, eine so klassische altersweise alte Frau, dass einem zuerst gar nicht auffällt, dass es keinen Mann dazu zu geben scheint. Aber der kluge Text weist uns deshalb auch eigens darauf hin, dass es ihn durchaus gibt, er ist aber nicht weiter erwähnenswert, er fällt halt jeden Morgen mit dem Boot über den See nach Ullapool. Überhaupt sind, bei genauerer Betrachtung, die meisten Männer, selbst diejenigen, die es – fast – zu Hauptfiguren bringen, bemerkenswert wenig erwähnenswert. Sie alle hängen ab von den Frauen, sie sind ihnen verfallen oder zumindest auf sie angewiesen, sie bringen es durchschnittlich kaum auf die Hälfte der versammelten Klugheit der großen Frauen. Am Ende sind sie tot oder schuld oder bleiben blass oder machen eine wirklich große Dummheit (Gretna Green? Really?)
Ach, es ist eine Lust und eine Wonne, dass es jetzt Texte gibt, in denen die Frauen dominant, klug, bedeutend sind! Und in denen sie endlich darüber bestimmen, wie von Frauen erzählt wird! Dazu gehört auch, dass die Liebe, das ewige Romanenthema, anders erzählt wird. Nämlich: Beinahe als Nebensache, zumindest was Sex oder die „romantische Liebe“ angeht. Es wird rumgeknutscht, klar. Und Männer wollen immer mehr, auch klar. Aber der eigentliche Herzensvertraute, derjenige, der als Einziger immer und unbedingt geliebt wird, und das heimliche Zentrum der ganzen Handlung, in gewissem Sinne – ist ein Hund. Ein Pudel auch noch! Das ist wahre, alle Klassen- und Geschlechtsschranken locker überspringende Liebe!
Na gut, das musste jetzt doch verraten werden. Davon unabhängig hat der Schluss aber noch eine besondere Pointe, und ich muss jetzt versuchen, um sie herum zu erzählen. Denn am Schluss des Buches – die Spannung der Binnenhandlung ist längst aufgelöst, der Mörder gefasst, die drei Frauen sind mit der inneren Aufarbeitung befasst, aber insgesamt mit der Welt im Reinen – am Schluss wird die Rahmenhandlung geschlossen, logischerweise (man hatte aber schon fast vergessen, dass hier überhaupt ein Schluss fehlte). Und wie das geschieht – nun, das ist ein wenig spukig und lässt einen Haken zurück beim Lesen. Das Licht geht aus, dann wieder an, dann aus. Dreimal, das ist wichtig.
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