Die meisten kennen Juli Zeh als Verfasserin von Romanen wie Unterleuten, Corpus Delicti oder Über Menschen. Sämtliche Romane der Autorin stehen auch in meinem Bücherregal. Doch das Buch, das ich zuletzt verschlang wie Samira ihre Möhren, war Juli Zehs Sachbuch Gebrauchsanweisung für Pferde. Denn – vielleicht wissen es viele nicht: Juli Zeh ist nicht nur Bestsellerautorin und Juristin, sondern auch Pferdeexpertin. Inspiriert durch ihr Sachbuch fasste ich selbst den Mut, mir mein erstes eigenes Pferd zu kaufen.
Juli Zeh war über 30, als sie ihr erstes eigenes Pferd bekam. Sie lebte zu diesem Zeitpunkt seit rund zwei Jahren mit ihrem Mann in einem Dorf in Brandenburg. Eines nachts klingelte der Reitlehrer aus der Nachbarschaft an ihrer Tür: „Du interessiert dich doch für Pferde, oder?“, fragte er. Mit Juli Zehs Nicken sollte sich ihr Leben von Grund auf ändern. Sie lernte den in Not geratenen „Rowdy“ kennen – einen 2002 geborenen braunen Hannoveraner. Das Großpferd war ein winzig kleines Häufchen Elend, vernachlässigt und traumatisiert. Aus Mitleid kaufte die Bestsellerautorin das Pferd noch in jener Nacht. Sie und ihr Mann nannten „Rowdy“ fortan „Neo“, um ihm auch sprachlich einen Neuanfang zu garantieren. Sie päppelten Neo auf und machten über die Jahre hinweg aus dem einstigen Panikpferd ein Verlasspferd. Die Angstzustände ihres Pferdes kosteten Juli Zeh drei gebrochene Finger, unzählige blaue Flecken, Schweiß und Frustration. Neo schenkte ihr aber auch die Freude über eine sich langsam entwickelnde magische Bindung voller Vertrauen und Zuneigung sowie eine Aufgabe, an der Juli Zehs Persönlichkeit wachsen durfte.
Als ich mein erstes eigenes Pferd bekam, war ich 40 Jahre alt. Wie Juli Zeh war auch ich in meiner Jugend ein Pferdemädchen, hatte aber das Reiten während des Studiums und im Berufsleben weitestgehend aus den Augen verloren. Mit Mitte 30 entdeckte ich die Liebe zu Pferden wieder. Nach Abgabe meiner berufsbegleitenden Dissertation erfüllte ich mir einen Lebenstraum: Ich flog allein nach Ulan Bator, um dort mit einer Handvoll Pferdeverrückten drei Wochen durch die Steppe der Mongolei zu reiten.
Es war die wunderbarste und angsteinflößendste Reise meines Lebens. Neben der Sorge, diese Reise nicht zu überleben, fühlte ich auf dem Pferderücken uneingeschränkte Freiheit, Lebensfreude und ein magisches Band zwischen mir und meinem halben Wildpferd. Zurück in Deutschland ritt ich zunächst nur gelegentlich und suchte mir schließlich im September 2022 eine Reitbeteiligung. Der Murgesen-Wallach, den ich ritt, forderte mich extrem heraus. Während dieser Zeit hörte ich auf dem Weg zum Stall Juli Zehs Gebrauchsanweisung für Pferde.
Und was ich da hörte, gefiel mir. Ich konnte viele Erfahrungen und Ansichten mit meiner Lieblingsautorin teilen und sie brachte mich gleichzeitig auf neue Strategien in der Mensch-Pferd-Kommunikation. Gestärkt durch ihre persönliche Geschichte hatte ich zudem den Eindruck: Es gibt so etwas wie Schicksalsbegegnungen zwischen Pferd und Mensch. Das führte dazu, dass ich Ende November Laila kaufte: eine siebenjährige Blue Roan Murgesen-Stute, die mit meinem Pferd aus der Reitbeteiligung zusammenstand. Laila war einst als Kutschpferd gekauft worden, hatte aber keine Lust selbiges zu werden. Sie geriet beim Einspannen in Panik und stieg, weswegen ihre Besitzer sie stattdessen als Reitpferd verkaufen wollten. Mit meinem Kauf wurde aus Laila „Samira“ – angelehnt an die ägyptischen Wortbedeutung: die „Prinzession oder Göttin der Freude“.
Doch mit der uneingeschränktem Freude war und ist es wie mit den guten Vorsätzen fürs neue Jahr: Sie werden nicht immer eingelöst. Davon hatte auch Juli Zeh ein Lied gesungen. Sie konstatiert, Pferdebesitzer neigten dazu, die Schwierigkeiten mit den Vierbeinern zu „vermenschlichen“. Sie sprechen von den „Trotzphasen“ wie bei einem Kind oder meinen, ihr Pferd „veräpple“ sie absichtlich. Das ist Blödsinn, glaubt Juli Zeh. Ein Pferd handle einfach nur nach Instinkt. Persönlich dürfe man sich nicht angegriffen fühlen und dem Pferd das Verhalten auch nicht verübeln. „Pferdisch für Anfänger“ empfiehlt sie darum und erläutert ihre Ansätze. Das Ziel: Das Pferd soll „seinem Menschen“ am Ende Vertrauen schenken und mit ihm eine Zweierherde bilden, in der der Mensch als ranghöher angesehen wird. Das erfordert Zeit, Geduld und Mut.
An dieser Zweierherde im Zeh’schen Sinne arbeite ich mit Samira seit zwei Monaten – seither ist sie bei mir. Ich will ihr zeigen, dass sie sich auf mich verlassen und mir folgen kann. Das gelingt mir nicht immer. Neulich ließ sich Samira eine Woche lang nicht von mir einfangen. Da hatte ich kurze Zeit den Verdacht, es liege am neuen Haarschnitt, den ich ihr verpasst hatte. Mit meinem noch ungeübten Schneiden hatte ich sie zu Mireille Mathieu gemacht.
Die mochte sie offenbar nicht. Und nun? Ich erinnerte mich wieder an Juli Zehs Sachbuch und glaubte auf einmal zu wissen: Wahrscheinlich lag es weniger an der Frisur, sondern viel mehr an dem harten Ausdauertraining und dem Muskelaufbau. Ich schaltete im Training einen Gang zurück, verwöhnte sie auch mal nur mit Putzen, Massieren und Füttern und siehe da: Samira ließ sich wieder gerne aus dem Pferdetrail holen. Wenn sie mich sieht, denkt sie nicht mehr nur an Arbeit, sondern auch an Vergnügen. Und vor Vergnügen muss sie nicht davonlaufen. Die Mähne hab ich trotzdem noch einmal geschnitten. Nun sieht mein Pferd aus wie Audrey Hepburn. Samira ist „my huckleberry friend“.
Juli Zehs Buch hat meinem Leben eine neue Richtung gegeben. Ihre reflektierte und gereifte Haltung gegenüber Pferden hat mich zum Nachdenken gebracht. Es ist ein kluges Buch, das auch auf Humor nicht verzichtet. Und der Grundaussage des Buches möchte ich mich gerne anschließen: Die Beziehung zwischen Mensch und Tier funktioniert nur, wenn man sich die Andersartigkeit bewusst macht und der Mensch als intelligenteres Wesen sein Interagieren anpasst. „Da möchten zwei Spezies, die von Natur aus keine gemeinsame Sprache sprechen, eine Verbindung eingehen“, schreibt Juli Zeh. Und wenn diese Verbindung funktioniert, wird sie magisch.
Quelle: SWR Fernsehen LESENSWERT, Denis Scheck und Juli Zeh im „Reitgespräch“ in der Nähe von Nuthetal. © SWR/Thomas Ernst
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