Ein Gastbeitrag von Sophia Niehl
Zwischen Selbstfindung und Partnersuche: Chimamanda Ngozi Adichie erzählt in ihrem Roman Americanah (2013) von den Höhen und Tiefen im Leben einer Immigrantin.
Es fängt beim Friseur an. Die Protagonistin Ifemelu verbringt den Tag in einem schäbigen Haarsalon in Trenton, um sich die Haare flechten zu lassen. Nach dreizehn Jahren in den Vereinigten Staaten ist sie müde, hat sich entschieden, zurück in ihre ehemalige Heimat Nigeria zu reisen. Und dort zu bleiben.
In den folgenden knapp 500 Seiten erfahren wir, was Ifemelu so müde gemacht hat, welche Mühsale, aber auch gute Zeiten sie auf dem fremden Kontinent durchlaufen hat, und wer in Nigeria auf sie wartet. Er ist keine leichte Kost, dieser Roman — aber wer sich traut, Ifemelu auf ihrer Reise zu folgen, der wird lachen und weinen und am Ende wissen, dass es gut so war.
“In Amerika bist du schwarz, Baby”
In Nigeria ist Schwarzsein die Norm. Und weil kaum jemand weiß ist, sind Unterschiede in der Hautfarbe keine Kategorie, nach der man Menschen beurteilt. Erst in Amerika wird Ifemelu mit dem für sie überraschenden Etikett “schwarz” versehen — immer und immer wieder, sodass sie beginnt, sich zu fragen, was mit diesem Etikett eigentlich verbunden ist. Rassismus als Konzept ist ihr so fremd wie das Land, in dem sie lebt, aber mit jeder Begegnung, mit jedem beiläufig hingeworfenen Kommentar wird ihr ein Spiegel vorgehalten, in dem sie sich nicht wiedererkennt. “In Amerika bist du schwarz, Baby” — so lautet der Titel ihres ersten Blogbeitrags, den sie in einer Art Selbsttherapie verfasst. Es ist dieser Blickwinkel, der dem allzu oft verarbeiteten Thema der Einwanderung seine Frische verleiht: Weil Ifemelu Rassismus erst kennenlernt, kann sie ihn beobachten wie ein Forscher ein Naturphänomen — und das tut sie mit einem Scharfsinn, der seinesgleichen sucht. Ob es ihre Freundin Kimberly ist, die in demonstrativer ‘Toleranz’ jede schwarze Frau als hübsch bezeichnet, ob es die Dame im Laden ist, die bei der Beschreibung ihrer Kollegin peinlich berührt das Wort “schwarz” vermeidet, oder ob es Michelle Obama ist, die ihre Haare glätten muss, wenn sie ihrem Mann keine Stimme wegnehmen will — Ifemelu nimmt selbst unscheinbare Details wahr und führt sie auf ihre Ursachen zurück. Dabei berichtet sie in glasklarer Sprache, oft witzig und schamlos im bestmöglichen Sinne. Das ist keine schüchterne Immigrantin auf der Suche nach Akzeptanz, sondern eine temperamentvolle Frau, die auf den Vorwurf “Das ist eine starke Meinung” antwortet: “Ich kenne keine andere Sorte.”
Und was macht die Liebe?
Ihren Freund Obinze hat Ifemelu in Nigeria zurückgelassen. Ganz fest hat sie ihm versprochen, Kontakt zu halten, sich zu melden — aber dann ist da die Jobsuche und die Miete, die gezahlt werden muss, und der Tennistrainer, der sie nur ein bisschen berühren möchte. Sie lässt es zu, fängt an sich dafür zu hassen und nimmt das Telefon nicht mehr in die Hand. Obinze muss seinen eigenen Weg gehen — der führt ihn nach England. Parallel zu den Erlebnissen Ifemelus erzählt der Roman von einer herausfordernden, teils gefährlichen Zeit, die Obinze als Einwanderer ohne Papiere durchlebt.
Und wozu das Ganze? Weil Krieg und Verfolgung eben nicht die einzigen Gründe zum Auswandern sind. Der Roman zeichnet ein Bild von drückender Chancenlosigkeit, von Träumen nach einem besseren Leben, die alle jungen Nigerianer in sich tragen. Emigration scheint der einzige Weg zu sein, um mehr zu erreichen als triste Eintönigkeit.
Nach fünfzehn Jahren und einer Jagd nach Träumen treffen sich Ifemelu und Obinze wieder. In einem Buchladen. Es gibt viel zu erzählen.
Adichie hat mit Americanah einen Roman geschaffen, der nicht nur zwei Lebensgeschichten realitätsnah abbildet, sondern auch tiefgreifende Eigenheiten des Menschseins verrät — ohne dabei je klischeehaft oder belehrend zu werden. Wer in dieses Buch eintaucht, bekommt Herz und Hirn durchgeschüttelt und den ein oder anderen Gedanken um hundertachtzig Grad gedreht — eine Achterbahnfahrt, aber eine, die man nicht verpassen möchte.
Hier noch ein Vortrag der Autorin zum Feminismus bei TED
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