Ein Gastbeitrag von Sebastian Helbig
In Elefanten im Garten von Meral Kureyshi droht die Erzählerin an einer existenziellen Krise zu zerbrechen.
Meral Kureyshi stimmt in ihrem Debütroman aus dem Jahr 2015 eine Totenklage an und erzählt von dem Versuch, in der Fremde sein Glück zu versuchen. Als Kind begleitet die Ich-Erzählerin ihre Eltern und ihre Geschwister auf der Flucht hinaus aus dem Balkan in den Westen. In der Schweiz findet die junge Familie einen Zufluchtsort, lange jedoch kein Zuhause. Kureyshi erfährt Armut, Ausgrenzung und Isolation in einem Land, das sich die humanitäre Tradition eigentlich auf die Fahnen geschrieben hat. Ob in der Schule, auf der Strasse oder in den Ämtern, nirgends wird das Mädchen, beziehungsweise die junge Frau, akzeptiert. Und so erstaunt es nicht, dass man während der Lektüre keine souveräne und allwissende Erzählerin erlebt, sondern eine Frau, die irgendwie fremd in der Welt ist. Das mag mehrere Gründe haben, etwa die Tatsache, dass die Erzählerin zwischen ihrer alten Heimat und der Schweiz hin- und hergerissen ist. Vor allem aber liegt es daran, dass ihr Vater, den sie Baba nennt, vor kurzem gestorben ist. Denn es war Baba, der ihr in dieser fremden, teils grausamen Welt Halt gegeben hat. Denn es war Baba, der ihr einfaches, von Armut geprägtes Leben zu einem Leben ohne Verzicht, zu einem glücklichen Leben gemacht hat. Und nun, da ihre wohl wichtigste Bezugsperson in der alten Heimat begraben liegt, stimmt die Erzählerin eine Totenklage an und zelebriert ähnlich wie Baba selbst eine Poesie der Einfachheit, in der Schönheit an Melancholie grenzt. So sagt sie über ihren Aufenthalt in Notunterkünften beispielsweise: „Ich hörte den fremden Sprachen im Bunker gerne zu und war froh, sie nicht zu verstehen. Aus jedem Mund entsprang eine andere Melodie. Es war die einzige Musik, die es hier gab.“
Gleichzeitig geht das Schreiben der Erzählerin über eine Totenklage hinaus. Das Schreiben bedeutet auch Freiheit, Freiheit und Sicherheit: „Ich solle zuerst überlegen, dann sprechen, sagte Anne. Das ist der Grund, weshalb ich zu schreiben begonnen habe. Ich konnte schreiben, was ich dachte, niemand sagte mir, ich solle zuerst überlegen.“
Ein weiterer Grund, um mit dem Schreiben zu beginnen, war der triste Alltag einer Geflüchteten. So fängt die Erzählerin in früher Kindheit an, Geschichten zu erfinden oder die Wahrheit auszuschmücken. Sie erzählt einer Freundin etwa davon, dass in ihrer Heimat Elefanten im Garten lebten, oder auch Löwen, aber keine Giraffen. Sie schreibt als Begründung Folgendes: „Ich konnte nicht aufhören, ich hatte sonst nichts zu erzählen, nicht von unseren Ferien oder von den tollen Geschenken zum Geburtstag oder von Ausflügen mit den Grosseltern.“
Obwohl Elefanten im Garten das Debüt von Meral Kureyshi darstellt, ist ihr eine grossartige Reife nicht abzusprechen. So gelingen Kureyshi wunderbare und weise Sentenzen, die an Traurigkeit grenzen. Sie schreibt etwa: „Ich war klein, doch groß genug, um nicht mehr klein sein zu dürfen.“ Und weiter: „Ich suche dich in deinem Tagebuch, ich finde mich.“
Elefanten im Garten ist ein kurzer Roman. Er lässt sich an gut einem einzigen Nachmittag lesen. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass er nur Banalitäten enthält. Eher das Gegenteil ist der Fall. Gerade in Zeiten, in denen Flüchtlingen zu Fuss oder motorisiert, auf dem Landweg oder über das Mittelmeer ihre Heimat verlassen, weil ihnen keine andere Wahl bleibt und weil sie ihren Kindern ein besseres Leben ermöglichen möchten, gerade in solchen Zeiten, sind Romane wie der von Meral Kureyshi besonders wichtig. Sie lehren uns nicht nur Toleranz. Sie lehren uns auch Mitgefühl und Verständnis.
Meral Kureyshi: Elefanten im Garten.
Econ-Ullstein-List. München 2017. 144 S., Euro 10.00.
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