Samurai – Pracht des japanischen Rittertums, so heißt eine Ausstellung in der Kunsthalle München, die mit über hundert Exponaten aus der Sammlung des Ehepaares Ann und Gabriel Barbier-Müller die Kultur der traditionellen japanischen Kriegerkaste präsentiert. Und Pracht bekommt man zu sehen: Angesichts einer vollständigen Samurai-Rüstung aus kostbaren Stoffen und Leder, verziert mit goldenen Ornamenten und Symbolen und ergänzt durch ein gleichzeitig schreckenerregenden und bizarr-phantastischen Helm scheint selbst eine Schmuckrüstung aus dem europäischen Mittelalter bieder, billig und vor allem: phantasielos. Die Ausstellung ist ein Genuss für die Augen – vor blutigem Hintergrund: Dass die Samurai-Krieger nicht nur hochkultiviert waren und einen ausgearbeiteten Ehrenkodex besaßen (den bushido), sondern auch brutale Schlächter, die nach der Schlacht die Köpfe der Gegner aufsammelten, um eine Prämie zu verdienen (es musste auch nicht unbedingt jeweils der passende Kopf zum passenden Helm sein…), kann man vor allem in den begleitenden Filmen erfahren. Schönheit und Grausamkeit paaren sich so gern!
Und während man noch die Hasenohren auf einem Helm bewundert (Symbol für langes Leben und Geduld, nicht Hasenfüßigkeit) und den sich dekorativ windenden goldenen Drachen auf einem Brustpanzer, während frau den Blick schweifen lässt über die Schlachtengemälde-Wimmelbilder und die langen Schwerter, die die Schwertschleifer an Gehängten auf ihre Schärfe überprüften – fällt einem plötzlich auf, dass man umgeben ist von grimmigen Blicken. Der Samurai trägt eine Gesichtsmaske, halb oder ganz, auf einigen ist ein neckischer Schnurrbart aus Tierhaaren angebracht, manche haben eine lange Nase, sie alle jedoch wirken: barbarisch, man muss ein wenig an Hannibal Lecter aus dem Schweigen der Lämmer denken, und man erkennt: Hinter einer solchen Maske versteckt wird jeder zum Barbar (und leise denkt schon eine Stimme im Hinterkopf mit, sie geht einem manchmal auf die Nerven, aber wir sind hier bei schoengeistinnen.de, und deshalb darf sie mitdenken: auch zur Barbarin?). Auf den Wandbildern hingegen tragen die Kämpfer keine Kampfmasken, das hat auch einen guten Grund, nämlich: Man soll ihren grimmigen Blick sehen! Die Münder sind nach unten verzogen, die Augenbrauen zusammengeballt, aus dem Blick blitzen Todesstrahlen. Beim Kämpfen lächelt man nicht, das leuchtet ein. Man sucht aber auch vergeblich nach einem Lächeln, einem kleinen nur, wenn man vor dem japanischen Gott Fukurokuju steht. Er wird gern als eine Art Galionsfigur auf den Helmen abgebildet, da wo sonst auch die Hasenohren oder ein Hirschgeweih oder eine Pyramide oder eine Art Badewanne sein können: Fukurojuku, der Gott des Glücks, des Reichtums und des langen Lebens und der Weisheit, er hat einen überlangen Schädel (auch das imitieren die Helme gern), der ganzen Weisheit wegen. Aber all die Weisheit und das Glück und der Reichtum und das lange Leben haben ihn nicht das Lächeln gelehrt: Er schaut wie Rumpelstilzchen, bevor es seinen Namen findet. Lächeln Japaner niemals? Oder lächeln nur kämpfende oder weise Japaner nicht? Die japanischen Kinder, die von einer japanischen Führerin durch die Ausstellung geführt werden, sehr diszipliniert und aufmerksam, können zum Glück lächeln, sie können sogar lachen. Aber ein Samurai nicht. Denn ein Samurai –
Und an dieser Stelle drängt nun die Stimme aus dem Hinterkopf nach vor, und sie sagt, genau wie bei Mykene: Natürlich können die Ausstellungsmacher nichts dafür, auch die eifrigen und großzügigen SammlerInnen nicht, Samurai waren halt eine Kriegerkaste, und keine historische Kriegerkaste ist für ihre Frauenfeindlichkeit berühmt geworden! Männlichkeit ist, neben Gewalt, der Identitätspunkt, und immerhin hat man dann im 19. Jahrhundert in Japan sogar erkannt, dass bei allem bushido-ethos (so hieß der Ehrenkodex der Kriegerkaste) die Samurais besser – abgeschafft werden mussten, um eine etwas zivilisierter Heeresform zu entwickeln. Aber was war nun mit den japanischen Frauen? Konnten sie, durften sie lächeln, wenn der abgekämpfte Samurai nach Hause kam, die abgeschlagenen Köpfe im Schlepptau? Und was war, wenn sie auch kämpfen wollten? Gab es vielleicht – japanische Amazonen?
Zum Glück kann man Dinge nachlesen, die in Ausstellungen nicht gesagt werden, es reicht ja auch, wenn die Ausstellungen Fragen aufwerfen. Wenn frau nachliest, kann sie also finden (und für eine überblicksartige Erstinformation sei www.welt-der-samurai.de empfohlen): Frauen waren, wie in so vielen Kulturen, in der Frühzeit durchaus nicht unterdrückt; die frühen Göttinnen waren weiblich, wie beinahe überall, in Clans waren Frauen häufig die Oberhäupter, bis ins frühe Mittelalter war der weibliche Name der Familienname. Und auch, als die nun zutiefst männliche Samurai-Kultur im späteren Mittelalter begann Gestalt anzunehmen, bekamen die Frauen selbstverständlich eine kriegerische Grundausbildung; mussten sie doch sich selbst, die Kinder und den Haushalt verteidigen können, wenn der Mann mal wieder unterwegs war, Köpfe sammeln. Besonders beliebt als Waffe war dabei der Naginata, eine Stangenwaffe mit einem über einem Meter langen Schaft, an dem vorn eine gebogene Klinge befestigt war – eine Art Hellebarde mit großer Reichweite, nicht für den Nahkampf, und eine Waffe, bei der die Klinge, richtig geführt, sehr große Geschwindigkeiten erreichen kann und dadurch noch gefährlicher wird.
Aber natürlich wollte das gelernt sein, ebenso wie das Fechten und andere Kampfsportarten. Nitobe Inazo, der das Buch schrieb, das bushido auch in Europa bekannt machen sollte – es erschien genau 1900, hieß im Untertitel Die Seele Japans und zitierte gelegentlich Hegel und andere europäische Intellektuelle –, Inazo also schrieb über die Frauen, dass schon die jungen Mädchen im Geist des bushido dazu erzogen wurden, ihre Gefühle zu unterdrücken und sich im Kampf abzuhärten. Sie erhielten sogar zum Zeitpunkt ihrer Geschlechtsreife kleine Taschendolche (kai-ken), mit denen sie sich entweder gegen Vergewaltigungsversuche schützen konnten oder, so Inazo, nach vergeblicher Verteidigung selbst töten. Eine japanische Heldenjungfrau musste deshalb genau die Stelle wissen, wo die Kehle am besten durchzuschneiden sei; mehr noch, so Inazo: „Sie musste wissen, wie ihre Füße mit einem Gürtel zuzusammenzubinden waren, damit auch nach ihrem furchtbaren Todeskampf ihr Körper und ihre Glieder in vollständiger Sittsamkeit aufgefunden wurden. Ist diese Art der Vorsorge nicht einer christlichen Perpetua oder einer Vestalin Cornelia würdig?“ Und während man doch ein wenig vor Scham errötet – das moralische Vorbild des Christentums kann schon sehr zweifelhaft sein -, liest man noch, dass die Mädels aber auch Musik, Tanz und Literatur lernen durften, ja sollten; nicht nur um das „Eckige ihrer Bewegungen“ abzuschleifen, sondern zur „Reinigung des Herzens“.
Ob Tomoe Gozen wohl gelächelt hat, als sie ihren kleinen Taschendolch bekommen hat, ob sie getanzt hat, nach dem Training im Bogenschießen, und Gedichte rezitiert beim Kenjutsu, dem rituellen Schwertfechten? Tomoe Gozen nämlich war die bekannteste japanische Amazone; gelebt hat sie von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, und sie soll eine Dienerin des späteren Shogun Yoshinaka gewesen sein. Schön war sie, das berichten die alten Epen von ihr, aber auch eine Kriegerin, die es mit „Dämonen oder Göttern“ aufnehmen konnte. Sie zog mit Yoshinaka in den Krieg, und als die Niederlage in der Entscheidungsschlacht sich abzeichnete, schickte er sie weg, weil es unwürdig gewesen wäre, an der Seite einer Frau den Heldentod zu sterben. Da suchte sie sich selbst einen würdigen Gegner zum Zweikampf, besiegte ihn, „drehte seinen Kopf ab“, schmiss ihn dann aber weg und ritt nach Hause. Über ihr weiteres Leben weiß man wenig, sie soll in ein Kloster eingetreten und sehr alt geworden sein. Ihre Schwester im Geiste, Hangaku Gozen hingegen, kaum zwanzig Jahre älter, kommandierte sogar eine eigene Truppe im Krieg. Von ihr sind alte Darstellungen erhalten, die sie auf galoppierenden Pferden zeigen (Pferde waren den Samurai vorbehalten), in beiden Händen eine Waffe, den Pfeilköcher auf dem Rücken und die langen schwarzen Haare emporgebunden. Lächelt sie? – ach nein, das wäre wohl zu viel verlangt. Aber sie schaut nicht grimmig.
Samurai – Pracht des japanischen Rittertums
Kunsthalle München, 1.2.-30-6-2019
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