Es ist ein bekanntes und nicht nur in Kriegs- und Krisenzeiten (dann aber besonders gut) zu beobachtendes Phänomen, dass die Menschheit, sobald sie die Wahl hat, zuverlässig in zwei ungefähr gleich große Hälften zerfällt: Kaffee- und Teetrinker, Hunde- und Katzenliebhaber, Warmbader und Kaltduscher, Apple– und Microsoft-User, egal wie und wo und wann: Wer für das eine ist, kann und darf nicht für das andere sein! Das ist natürlich ein wenig arg in Schwarz und Weiß getuscht, aber in großen Zahlen scheinen Leute so zu funktionieren, was beispielsweise auch die häufig verdächtig dicht um die 50%-Marke schwankenden Wahlergebnisse in politischen Systemen mit Mehrheits- und nicht Verhältniswahlrecht zeigen. Sogar die Natur weiß, dass sie ungefähr zur Hälfte Frauen und Männer produzieren muss, damit das Leben weitergeht!
Von dem Zwei-Hälften-Phänomen zehrt natürlich auch die Weltliteratur. Das dazugehörige Narrativ ist uralt und immerneu (Gott und Teufel, Troja und die Griechen, die Familien Montague und Capulet, Faust und Mephisto, Meister Yoda und Darth Vader; alles keine Frauen? Darüber könnte man auch mal nachdenken). Und eine der lustigsten Umsetzungen dieses Entweder-Oder-Narrativs hat Christoph Martin Wieland (ja, alter weißer Mann, nach antiken Quellen, ja, trotzdem lesenswert!) gestaltet: Es geht um einen Esel und seinen Schatten und die Entstehung der Esel- und der Schatten-Partei in der Stadt Abdera, um prozessgeile Advokaten und machtgierige Kommunalpolitiker – aber Abdera ist überall, machen wir uns nichts vor!
Zudem ist die Geschichte von Wieland aus noch fröhlich weitergewandert, zu heute eher unbekannten Autoren wie August Kotzebue (großer Bühnenautor im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert, und besser als sein Ruf) und Ludwig Fulda (ebenfalls einer der meistgespielten Bühnenautoren, nur 100 Jahre später) bis hin zu Friedrich Dürrenmatts Hörspiel Der Prozeß um des Esels Schatten, alles auch heute noch sehr lesbar.
Wer sein Bücherregal nun nicht weiter strapazieren möchte: Alle Texte gibt es jetzt in einer einzigen Ausgabe, hübsch gebunden mit einführenden Kommentaren und Erläuterungen: Der Esel und sein Schatten. Prozessgeschichten von Wieland – Kotzebue – Fulda – Dürrenmatt! Schoengeistin Kerstin Bönsch hat den Band mit Sarah Seidel (Universität Konstanz) herausgegeben. Und weil ein Esel ja nicht ohne seinen Schatten gedacht werden kann, noch gleich ein zweites, schmaleres Bändchen dazu mit Schlaglichtern auf des Esels Schatten: Ansichten zu einem satirischen Prozess, mit außerordentlichen wohlgelungenen studentischen Essays, die das Thema unter gesellschaftlichen, politischen, medialen – und natürlich auch: gender-Aspekten aktualisierend betrachten. Und jede, die gern wissen möchte, warum man vielleicht trotzdem manchmal Tee und manchmal Kaffee trinken sollte und warum die Welt davon nicht untergeht – kaufen und lesen!

Beide Bücher sind erschienen im Wehrhahn-Verlag Hannover:
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