Nun kann man sicher darüber streiten, ob Ursula von der Leyens Sofagate nicht doch ein wenig von den Medien aufgebauscht wurde (eine Metapher, die einem übrigens seltsam unpassend vorkommt angesichts des schmalen Hosenanzugs, den sie dabei trug; aufbauschende Kleidung kann sich schon lange keine Frau in der Politik mehr leisten!). Die Skandalqualität von Watergate erreicht Sofagate sicherlich nicht, auch wenn frau sich gut vorstellen kann, wie düpiert sich unsere oberste EU-Dame fühlen musste, als sie allein auf dem großen Katzensofa Platz nehmen musste, in sicherer Distanz von den Herren der Schöpfung. Sie saß dann relativ damenhaft gefasst da, die Beine zierlich übereinandergeschlagen (die sog. X-Position, wir werden später dazu kommen). Die beiden Männer hingegen durften ihren eigenen Sessel ausfüllen, gleiche Sitzhöhe sozusagen, und ein wenig breitbeinig sich gehen lassen. Es war aber noch nicht die volle Putin- oder Autokratengrätsche, wo frau immer ein wenig das Gefühl hat, der Herr der Schöpfung würde sich gleich ans Gemächt fassen und es zurechtrücken, damit es im Zentrum des Blickfelds auch gut zur Geltung kommt.
Sitzende Frauen hingegen haben es schon immer schwer gehabt. Lange Zeit war die Sitzhaltung von der Kleiderordnung vorgegeben, und der Damensitz beim Reiten war nur die Zuspitzung der allgemeinen Maxime, die lautet: Die Dame macht die Beine nur breit, wenn sie dabei die Augen schließt und an England denkt (viktorianische Erziehungsmaxime für die Hochzeitsnacht)! Zudem haben lange Röcke dafür gesorgt, dass man nur ahnen konnte, was die Beine darunter so anstellten – und vielleicht war das ja sogar eine größere Freiheit als ein bleistiftdünner Kostümrock, der die Beine so zusammenzwingt, dass frau nur noch Trippelschritte machen kann, keinesfalls aber die Beine lustvoll auf ein Fahrrad schwingen (Sittenverfall, bis heute in einigen extremeren islamischen Gesellschaften verpönt für Frauen, schadet der Jungfräulichkeit!)? Allerdings hat sich, völlig geschlechtsneutralen Jeans und immer kürzeren heißen Höschen zum Trotz, an der weiblichen Sitzhaltung bis heute anscheinend gar nicht so viel geändert. Der englischen Monarchie, nicht direkt ein Hort des Fortschritts und der Frauenemanzipation, kann man vielleicht nicht direkt vorwerfen, dass sie bis heute am Duchess Slant festhält: Keinesfalls dürfen die Beine, wie attraktiv sie bei den neueren Herzoginnen-Modellen auch sein mögen, übereinandergeschlagen sein! Nein, beide Füße gehören fest auf den Boden, die Beine werden von oben bis unten fest aneinandergepresst und (vielleicht ist sogar der Winkel vorgeschrieben?), das Wichtigste: diagonal angeordnet, die sog. Z-Position! Wer das einmal probiert, wird feststellen, dass es gar nicht so bequem ist auf die Dauer, wahrscheinlich sogar rückenschädlich. Aber es hatte schon immer seinen Preis, eine Prinzessin zu sein!
Und man hat auch keine Monarchie für die Bequemlichkeit! Bequem geht zuhause auf dem Sofa, aber nicht auf dem Thron – der übrigens ein klassisches Herrschafts-Sitzmöbel ist, das aber vorerst nur nebenbei. Wohingegen die übereinandergeschlagenen Beine, X-Position, so etwas wie das weibliche Standardmodell geworden sind. Immerhin gewährleisten sie immer noch einen dichten Beinabschluss, je nach Körpergewicht und Beinform sitzt frau sogar halbwegs bequem, und es sieht nicht so flegelig aus wie die Putin-Grätsche. Gesund ist es aber auch nicht direkt, es drückt die sowieso schon durch viel zu viel Sitzen geschädigten Beinvenen noch mehr ab. Aber dekorativ, wenn auch nicht ganz so schön Z-förmig wie der duchess slant! Noch dekorativer allerdings sind die, nennen wir sie: Model-Varianten. Dazu gehört das gesteigerte Beinüberkreuzen, bei dem die Unterschenkel umeinandergeschlungen werden; es hat etwas von einer Yoga-Übung und funktioniert nur bei sehr, sehr schlanken Beinen und gutem Training. Aber es sieht cool aus; ein wenig verknotet, ein wenig arabesk, sehr gelenkig und grazil. Oder, auch wenn es auf den ersten Blick nicht einleuchten mag: die A- Variante, gepflegt von Bein-Ikonen wie Marilyn Monroe: Oberschenkel und Knie eng zusammengepresst, die Unterschenkel ab dem Knie nach außen abgespreizt. Das hat etwas niedlich Kleinmädchenhaftes, aber doch auch verschämt-Erotisches, vor allem wenn es kombiniert wird mit sehr hohen Absätzen, die das A in die Länge ziehen. Natürlich sind die Beine dabei im oberen Bereich weiter geschlossen, geradezu energisch sogar; das ergibt sich ganz von allein, wenn man die Knie aneinanderpresst.
Übrigens, zurück zum Thron, ist Sitzen schon immer eine Form der Herrschaftsausübung gewesen. Nicht nur Monarchen sitzen auf dem Thron, sondern Richter sitzen zu Gericht und Vorsitzende entscheiden über die weiter Hinten Sitzenden (Weisheit von Wikipedia); in höflichen Gesellschaften erteilt man sich gegenseitig die Erlaubnis, sich niederzusetzen oder steht aus Respekt auf. Andererseits, so tückisch können einem Metaphern in den Rücken fallen, sitzt man auch im Gefängnis. Oder man bleibt sitzen, was ganz, ganz schlimm ist, vor allem angeblich für Frauen, die zu lange ihre Beine sittsam geschlossen haben. Sitzen ist sowieso eine ziemlich ungesunde Angelegenheit, es quetscht zu viele innere Organe zusammen, schadet der Wirbelsäule und beeinträchtigt angeblich sogar die Gehirnleistung. Die Zivilisation hat die Menschheit zwar zu einer sitzenden Mehrheit gemacht, aber das war vielleicht gar nicht so zu ihrem Besten! Und sitzende Frauen – harren weiter ihrer Befreiung, die sie aber wohl schon selbst in die Hand – den Fuß? das Bein? – nehmen müssen.
Sagte ich schon gelegentlich, dass meine liebste Frau in der Kunst und mein großes Vorbild Melencolia ist, Dürers düstere Denkerin? Melencolia aber sitzt, wie alle wahren Denkerinnen schon immer gesessen haben: selbstbewusst, mäßig breitbeinig (V-Position), die Ellenbogen auf die Knie gestützt, entspannt im Körper und konzentriert im Geiste. Mit geschlossenen Beinen kann man nämlich nicht denken.
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