Damit, für alle, die noch ein wenig Lust auf interkulturelle Lockerungsübungen haben, ein Schwenk zu den Begünstigten Tieren als eine Art Seitenfabel zu den Auserwählten Frauen. Das Gedicht geht so:
Vier Tieren auch verheißen war,
Ins Paradies zu kommen,
Dort leben sie das ew’ge Jahr
Mit Heiligen und Frommen.
Den Vortritt hier ein Esel hat,
Er kommt mit muntern Schritten:
Denn Jesus zur Prophetenstadt
Auf ihm ist eingeritten.
Halb schüchtern kommt ein Wolf sodann,
Dem Mahomet befohlen:
»Laß dieses Schaf dem armen Mann,
Dem Reichen magst du’s holen!«
Nun, immer wedelnd, munter, brav,
Mit seinem Herrn, dem braven,
Das Hündlein, das den Siebenschlaf
So treulich mitgeschlafen.
Abuherriras Katze hier
Knurrt um den Herrn und schmeichelt:
Denn immer ist’s ein heilig Tier,
Das der Prophet gestreichelt.
„Begünstigt“: Das ist ein netter kleiner Orientalismus, denn allgemein gilt der orientalische Despotismus die Blütezeit der Günstlingswirtschaft (nein, gab es auch im Okzident, so ist das halt mit Stereotypen, sie fallen überall auf fruchtbaren Boden). Man kann aber nicht sagen, dass Tiere in der Bibel „begünstigt“ werden; sie werden vielfach strikt dem Menschen untertan gemacht, und was daraus geworden ist, kann man ja sehen (kein Paradies, nirgends). Allerdings kommen Tiere durchaus vor in der Bibel, aber meist als schlechtes Beispiel oder besondere Strafe (die Schlange. Die Heuschrecken). Ausnahme, und damit sind wir schon mitten im Gedicht: der vortretende Esel, auf dem Christus im Koran und in der Bibel in die Heilige Stadt Jerusalem einreitet, das Volk begrüßte ihm mit Palmwedeln, heiligen Pflanzen, und sah darin, dass er nicht auf einem kriegerischen Pferd einritt, ein Zeichen der Demut und des zukünftigen Friedens. Zwar gilt der Esel sonst gemeinhin nicht als „munter“, sondern eher als etwas störrisch. Aber immerhin bekommt er von Gott eine Stimme verliehen, als der brutale Bileam sie (es war eine Eselsstute) schlägt, nur weil sie vor einem Engel gescheut hatte! Na gut, Esel werden berechtigt begünstigt, und Eselsstuten sowieso!
Wölfe hingegen –mit der dritten Strophe ist so eine Sache. Dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, ist Hobbes und nicht direkt christlich gedacht, wenn auch historisch ziemlich erfahrungsbewehrt. In der Bibel tritt der Wolf bemerkenswerterweise fast nie ohne das Schaf auf, immerhin; und der Prophet Jesaja prophezeit eine neue Zeit, ein wiedergekehrtes goldenes Zeitalter sozusagen, in dem Wolf und Lamm zugleich weiden werden. Was hingegen Mohammed mit dem Wolf zu tun hat, da streiten die Quellen ein wenig; es gibt eine unterschiedlich überlieferte Legende, in der er einen Wolf davon abbringt, eine Hindin zu reißen, aber ihr dafür ein attraktiveres Opfer anbietet. Na gut, der Wolf im Gedicht ist ja auch nur „halb schüchtern“ geworden; ob er sich von der Robin-Hood-Logik wirklich überzeugen lässt, da fragen wir besser seine andere, nicht-schüchterne Hälfte. Aber trotzdem nehmen wir mit, dass das Almosengeben im Islam eine der fünf Glaubenssäulen ist und durchaus einen gewissen Umverteilungsgedanken transportieren mag.
Aber dann, das Hündchen, das Hündchen! Das Hündchen ist eine wichtige Gestalt im Divan. Im letzten Gedicht der umfangreichen Gedichtsammlung, in Gute Nacht, steht es wiederum ganz am Ende, das Hündlein, das treue. Es ist, und natürlich ist die uralte Geschichte wiederum christlich und muslimisch überliefert, das Hündchen aus der Siebenschläferlegende, die im Divan selbst erzählt wird und deshalb hier nicht nachgeplappert werden muss (selbstlesen! anders geht Emanzipation nicht!). Wichtig ist nur: Bei den sieben jugendlichen Glaubenshelden, die in einer Höhle ihre Verfolgung verschlafen, schläft nur in der islamischen Variante ein Hündchen mit (manchmal sind es auch drei oder vier, es kommt nicht darauf an, und sicher ist auch eine Hündin dabei). Die Treue, das unbedingte Vertrauen in Gott, das die jungen Glaubenshelden zeigen, wird sozusagen potenziert durch das Hündlein, das über seinen Herrn vermittelt Gott vertraut; dabei immer schön schwanzwedelnd, munter und brav, ganz die fröhliche Hundenatur, sogar im Schlaf sieht man die Schwanzspitze noch ein wenig zucken. Auf jeden Fall berechtigt, vergünstigt und auserwählt! Nicht jedoch in der christlichen Variante. Sie kennt kein Hündchen, gar keines, weder ein weibliches noch ein männliches.
Am Ende hingegen steht die Katze, und das ist schon ein wenig tückisch (Katzen halt). Katzen haben jetzt nicht so einen guten Ruf, allegorisch und so (in der Bibel kommen sie praktisch nicht vor). Ein Tier, das um seinen Herrn „knurrt“ und ihm „schmeichelt“ – das ist wohl ein klassischer Günstling, um nicht zu sagen: eine Berufsopportunistin, auf sanften Katzenpfoten schleicht sich die Katze in unser Herz, aber ganz sicher sein kann man sich ihrer nie. Sie wedelt auch nicht mit dem Schwanz, ihre Sprache ist überhaupt viel komplizierter. Aber deshalb kann man ja trotzdem ein „Abuherrira“ sein, ein „Katzenfreund“ nämlich, wie einer der Gefährten Mohammeds, Prophet auch er; er überlieferte genauso christliche Legenden wie muslimische, und er mochte eben Katzen, was ihm den Namen eintrug, unter dem er bis heute bekannt ist. Wahrscheinlich hat Abuherrira seine Katzen gestreichelt, wenn sie ihm umschmeichelt haben. Macht ihn das zu einem besseren oder schlechteren Menschen? Oder einem hellsichtigeren Propheten? Oder doch nur zu einem von Mohammeds Günstlingen? Denn Mohammed mochte Katzen auch ziemlich gern. Es ist sogar der Name seiner Lieblingskatze überliefert, Muezza soll sie gehießen haben. Und Mohammed soll es auch gewesen sein, der dafür sorgte, dass Katzen immer mit vier Pfoten auf den Boden fallen, indem er Muezzas Rücken nach der Rückkehr vom Gebet dreimal streichelte. Seitdem fällt die Katze auf die Pfoten.
Katzen sind weder berechtigt noch auserwählt ins Paradies zu kommen; sie sind eben einfach begünstigt. Das kann man für eine zweifelhafte Moral halten. Oder für – nun ja, eine Art von Inklusion, die dem Fremden seine Fremdheit lässt und es nicht ins eigene Moralsystem einkleidet? Die Platz hat für den „halb-schüchternen“ Wolf und die ein wenig weiblich dahinschmeichelnde Katze neben dem männlich-schwanzwedelnden Hündchen (mithin auch: für Hunde- und für Katzenfreunde, im wirklichen Leben zwei sich eher ausschließende Gruppen?)? Goethe hätte aber wahrscheinlich über beides die Schultern gezuckt; eine ebenfalls heute viel zu selten geübte geistige Lockerungsübung.
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