Fanny Lewald (1811-1889) hatte es geradezu mehrfach schwer als Autorin: Sie war nicht nur Frau, sondern auch Jüdin und als gehorsame Tochter dreifach emanzipationsbedürftig. Ihren Eltern zuliebe war sie zum Christentum konvertiert, in der Jugend schon, aber es wollte ihr einfach nicht eingehen: Zwar war sie gläubig, zutiefst sogar, überall sah sie Gottes Spuren auf Erden – aber dieser christliche Wunderglaube, diese seltsame heilige Trinität, dieser etwas schwer zu fassende Sohn Gottes, all dies ging ihr gegen ihre jüdische Vernunft wie ihren praktischen Verstand, und von beiden hatte sie überreichlich. Aber nein, sie sollte christlich werden und gut heiraten; sie sollte Klavierspielen und Handarbeiten machen, ein wenig mehrsprachig parlieren und den Ruhm ihres Mannes mehren! Was dachten sich die Eltern bloß dabei, dass sie einen zum Objekt auf dem Heiratsmarkt machten, zu einer Ware, die man vorzeigt und deren Vorzüge man preist: Seht nur, eine Tochter aus gutem Hause, sie ist nicht hässlich und hat gute Manieren, sie ist ein wenig künstlerische ambitioniert, aber in Maßen, in bescheidenen Maßen, und ihre Mitgift wird nicht gering sein! Wie sollte man unter diesen Umständen seine Würde bewahren, seine Intelligenz und seine psychische Gesundheit? Konnte man es den Frauen wirklich verdenken, wenn sie zu preziösen und unpraktischen Schmuckstücken wurden, zu verzärtelten Modepuppen, seicht daher plappernden Schwätzerinnen, missgünstigen Hyänen und rachsüchtigen Ehefrauen? Hatte man sie nicht selbst – dazu gemacht?
Fanny jedoch war zum Glück ziemlich, wie man heute sagen würde, resilient. Sie überstand ihre ersten unglücklichen Verliebtheiten ebenso wie die langen Jahre, während derer sie die Tochter aus gutem Haus war und die eigenen Eltern mit ihr handelten wie mit immer saurer werdenden Gurken; sie ließ sich einfach nicht verheiraten. In ihrem ersten Roman Jenny (autobiographisch wie noch jeder Erstling, egal ob männlich oder weiblich) hat sie die Hauptfigur mit einem kleinen grünen Kaktus verglichen: Er ist unbeugsam, er kann sich den stürmischen Winden des Schicksals nicht anschmiegsam und demütig beugen, sonst würde er brechen; er ist stachlig und etwas unansehnlich, aber er kann blühen, wenn man ihm nur die Gelegenheit dazu gibt, oh wie er schön er blühen wird! Und Fanny hat irgendwann, endlich – nun ja, das Quäntchen Glück, das man sogar braucht, um einen Kaktus zum Blühen zu bringen: Ein Vetter gibt eine angesehene Zeitschrift heraus, er veröffentlicht etwas von ihr, anonym natürlich (die Heiratschancen der unterordnungswilligen Schwestern sollen nicht gemindert werden, das wäre eine schlechte Investition); und das ist der Beginn einer ansehnlichen Schriftstellerkarriere. Von nun an wird Fanny mit dem Schreiben nicht mehr aufhören, sie wird Romane, Erzählungen, Essays, Reiseberichte, Kampfschriften für die Emanzipation schreiben (aber niemals Gedichte oder andere Sentimentalitäten). Schreibend befreit sie sich von ihrer fatalen Unverheiratbarkeit, schreibend verlässt sie das Elternhaus und geht nach Berlin, schreibend macht sie die Frau aus sich, die sie selbst werden wollte, trotz und gegen das Schicksal. Und sie schreibt so, wie sie ist: klug, pragmatisch, reflektiert, ein wenig allzu männlich-energisch für eine Frau; stilistisch wenig originell, aber mit einem soliden Realismus und scharfer weiblicher Beobachtungsgabe; unsentimental, aber trotzdem gelegentlich leidenschaftlich.
Ja, Fanny wird schließlich sogar eine Wortführerin der internationalen Emanzipation: Sie hat Netzwerke, Programm und Pflichten, sie reist durch die Welt, hält Vorträge, sammelt Geld für gute Zwecke, fördert und fordert. Aber niemals wird sie eine unkritische Feministin: Für und wider die Frauen heißt einer ihrer bekanntesten Texte, und es gab ja tatsächlich Gründe, gegen die Frauen zu sein: wenn sie sich nämlich dem männlichen Bild von ihnen unterworfen hatten, wenn sie Schmuckstücke geworden waren, ohne Sinn und Verstand, ohne Bildungswillen; Frauen, die gar meinten, man könne einfach so schreiben oder wählen ohne irgendeine Ausbildung, Befähigung, Übung! Nein, Emanzipation muss erarbeitet werden, wie Fanny sie sich erarbeitet hat, davon ist sie zutiefst überzeugt. Man konvertiert so wenig zum Feminismus wie zum Christentum, und man bekommt ihn auch nicht geschenkt. Das jedoch ist nur möglich, wenn man wirtschaftlich selbständig ist, also einen richtigen ›Beruf‹ ergreift, von dem man notfalls leben kann, auch ohne Mann. Frau muss sich den Herausforderungen der modernen Arbeitswelt aussetzen, ihren Versprechen wie ihren Bedrohungen, der damit verbundenen Verantwortung wie der damit verbundenen Freiheit, nur so kann sie die gleichberechtigte Partnerin des Mannes werden. Dadurch wird man vielleicht, nun ja, ein kleiner grüner Kaktus und keine exotische Orchidee, noch nicht einmal eine blühende Lilie oder ein verstecktes Veilchen. Aber man kann trotzdem Frau bleiben, ja, man kann sogar durchaus wertkonservativ bleiben.
Bis ans Lebensende ist Fanny zutiefst religiös. Sie ist eine geradezu erbarmungslose Moralistin, für die die Tugend der deutschen Frau, die Heiligkeit der deutschen Ehe, die Vorbildlichkeit der deutschen Familie unantastbar sind; aber sie müssen als persönliche Wahrheit gelebt werden können, sonst sind sie nur Fassade, Tand, Lüge. Ihre späte Ehe (nach einer Scheidung des Partners, so lange schon hatte sie auch dafür gekämpft!) stilisiert sie als Arbeits- und Denkgemeinschaft, als Verbindung gleichberechtigter Partner (sie selbst war deutlich dominanter als der Gymnasiallehrer, der aber immerhin den Mut hatte, sie zu heiraten). Am Ende sammelt sie ihre mühsam erworbene Lebensweisheit in Aphorismen, einer auf den ersten Blick männlich zugespitzten Form, aber es sind männliche dabei und weibliche. Einer von ihn würdigt sogar die Männer auf ungewohnte Weise: Vielleicht seien sie das liebensfähigere Geschlecht, und die Frauen hätten dafür die größere Rationalität; die Frauen, die es immer mit realen Dingen zu tun hatten, mit Räumen, Tieren, Kindern, praktischen Dingen. Frauen kennen sich damit aus, wie man Dinge macht. Wenn man sie nur lässt, wenn man sie ermutigt statt einsperrt, wenn man sie freisetzt aus dem goldenen Käfig – dann machen sie ihre Hälfte der Welt, und zwar so, wie sie selbst es wollen.
Aphorismen von Fanny Lewald:
Egoistisch sind beide Geschlechter und also jeder Mensch, aber die Geschlechter haben ihren verschiedenen Egoismus.
Der natürliche Beruf der Frau ist Gattin und Mutter zu sein! – Als ob dasjenige der Beruf eines Menschen sein könnte, was er durchaus nicht leisten kann aus eigner Machtvollkommenheit, sondern wozu ihm nur die nicht zu erzwingende freie Entschließung eines andern verhelfen kann. Wie die Jahrtausende das Verhältnis und die Lebensstellung der Geschlechter herausgebildet haben, könnte man mit ungleich größerem Rechte den Satz aufstellen: Der natürliche Beruf des Mannes ist Gatte und Vater zu werden!
Die Einwände gegen das freie Selbstbestimmungsrecht der Frau sind so dumm und so roh, daß sie unglaublich gefunden werden in einer späteren Zeit – ohne daß deshalb das Familienleben aufhören oder die Menschheit aussterben wird.
Natürlich ist es sehr bequem, eine Weltordnung aufrecht zu erhalten, in welcher der Mann sich – und der Fall ist nicht selten – eben nur für das bitter karge Brot, bei harter Behandlung, eine Haussklavin aneignet, die ihren Beruf, einen Gott wohlgefälligen Beruf, zu erfüllen glaubt, wenn sie sich erschöpft und müde dazu hergibt, alljährlich ein Kind in die Welt zu setzen und aufzunähren, und im Hause still zu halten, um Gottes Gebote willen, gleichviel, ob der Mann sich und den Namen, den er ihr statt des ihren aufgenötigt hat, wie der Gutsherr die von ihm gekauften Tiere stempelt, mit Straßendirnen und Konkubinen im Kot herumzerrt.
So wie sich manche Leute Luxuspferde halten, so nehmen sich manche Männer Luxusfrauen, und beide haben dabei im Grunde wesentlich keine andere Befriedigung, als das Bewußtsein, daß viele andere eine so unnötige Ausgabe nicht für etwas machen würden, was nichts leisten kann und doch Ansprüche an große Leistungen macht.
Liebe ist kein Kollektivbegriff, wie Mehl und Obst, und jede Liebe und jede Freundschaft sind eine Besonderheit, sind durch keine andere zu ersetzen.
Es ist unglaublich verkehrt, besondere Gesetze für das Walten des Geistes und für das Walten des Körperlichen in der Natur anzunehmen. Der Geist ist auch nur ein Teil des Alls, und es kann für das ganze All nur ein Gesetz geben.
Nichts sitzt so fest, als falsche Vorstellungen, wenn sie in einer bestimmten Redeform in der Leute Mund gekommen sind.
Falsche Gedanken lassen sich berichtigen und das Leben selbst tritt ihnen berichtigend entgegen; Fadheit aber ist unverbesserlich.
Oberflächigkeit und Halbbildung werden ja dadurch nicht gemildert oder verbessert, daß man sich in ihnen ein ganzes Leben hindurch bewegt hat.
Unmögliches wollen und wünschen ist fast immer ein Zeichen der Faulheit.
Denn wenn es mit dem Genießen nicht eben werden will, wie wir es wünschen, nun so bleibt doch immer das Leisten übrig, mit dem es sich auch ganz leidlich durchkommen läßt.
Nichts ist mir an den Menschen auffallender, als daß sie so gar wenig ihre beängstigende Abhängigkeit von der Natur empfinden, die ich in jedem Augenblicke gegenwärtig habe. Was wollten die Menschen anfangen, wenn irgendeine Nebelkonstellation, eine Erdausdünstung, uns einmal durch Wochen in solche Finsternis verbannte? Arme Höhlentiere wären wir mit all unserm Gaslicht und unsern physikalischen und chemischen Mirakeln!
Es gibt Menschen, die sind wie Rohrstühle. Leicht, transportabel, überall zu brauchen, regelrecht, dauerhaft – aber hart und kalt, daß man sich nicht daran lehnen mag – die Gemütswärme eines Rohrstuhls.
Wenn die Erde eine divergierende Bewegung einnähme, würde man zu Grunde gehen – und sie empfinden es nicht, daß die Umkehr aller Vernunft mit dem Kriege über sie hereingebrochen ist.
Meine Weisheit habe ich eigentlich zumeist von dummem Vieh, von Spinnen, von Blutegeln, von solchen Tieren erlernt. Die Menschen, und zwar diejenigen, welche sich für besonders bedeutend und für Charaktere halten, rennen oftmals mit dem Kopf gegen die Wand und wollen das, was sie wollen, grade in einer bestimmten Form und auf einem bestimmten Punkt und für immer. Das ist einfältig. Eine Spinne versucht – versucht zehnmal, zwanzigmal, wo sie sich anheften kann –, ein Blutegel macht’s grade so – und beide lassen los, wo nichts mehr für sie zu tun und zu hoffen und zu holen ist. Es ist ein Vergnügen zuzusehen, wie vernünftig ein Blutegel sich seinen Fleck aussucht, und wie entschlossen er losläßt.
Was den Verkehr mit Kindern so erfreulich macht, das ist, daß man sie zehnmal an jedem Tage wirklich glücklich machen kann.
Man muß selbst erzogen sein, oder sich selbst erzogen haben, um nachhaltig auf Kinder zu wirken.
Es erzieht aber den Menschen nichts so sehr als das Erziehen anderer, es fördert nichts so sehr seine Einsicht als das enge Zusammensein mit Kindern.
Wie man sich für jede Jahreszeit anders und neu zu kleiden hat, so hat man sich auch für jedes Lebensalter neu zu erziehen.
Es stirbt, glaube ich, jeder, ohne sein letztes Wort gesagt zu haben.
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