Der Vogel starrte mich an. Die Augen waren groß und sehr dunkel; sie hatten eine perfekte Form, wie übergroße Mandeln mit sich freundlich nach oben schwingenden Kajal-Winkeln am Ende; keine Visagistin hätte das perfekter und symmetrischer machen können. Dass die Nase hakenförmig und eigentlich ein spitz gebogener Raubtierschnabel war, fiel kaum auf, so zierlich und […]
Alchemistinnen, oder: Überleben im Kochtopf?
„Alchemist*innen“! Da stand ich und lachte zynisch vor mich hin in der Kabinetts-Ausstellung im Nürnberger Germanischen Nationalmuseum. Schön gender-korrekt war die kleine Ausstellung beschildert und erläutert, aber wer denn, bitte schön, hatte schon jemals von weiblichen Alchemistinnen gehört? Was immer man nun von der geheimnisumwitterten Disziplin meint – Schabernack oder Vorform der Naturwissenschaft, dunkle Magie […]
Virginia Woolf und der Leuchtturm
Irgendwann würden sie zum Leuchtturm fahren. Er war gewöhnlich gut zu sehen von ihrem Haus an der Küste aus; außer es war Nebel, oder die Wellen schlugen so hoch ans Ufer, dass man gar nichts mehr erkennen konnte. Natürlich musste einer von den Eltern mitkommen, aber das würde sich doch einrichten lassen. Eines Tages würden […]
Goethe und die reine „Wollust“
Was war zuerst da, der Sex oder der – höchste geistige Genuss, die Seelenwonne, das Herzensentzücken? Denn es ist sprach- wie ideengeschichtlich gar nicht undenkbar, dass die Wollust als ins Ultimativ-Wohlige gesteigerte Lust nicht immer nur ein Euphemismus für Ihr-Wisst-Schon-Was war, sondern anfangs wirklich das rein geistige Hochentzücken an der Kommunikation mit Gott – die […]
Altweiberfäden des Denkens
Olga Tokarczuk, Empusion Was wäre, wenn? – das ist nicht nur die Zauberformel von Literatur schlechthin, verstanden als eine alternative Geschichten-Schreibung, als ein Experiment mit dem menschlichen Fühlen und Denken innerhalb künstlerisch erschaffener Parallel-Welten. Es ist auch eine Zauberformel, mit der man die Literaturgeschichte – im Großen und Ganzen und über weite Strecken: eine ziemlich […]
Elefanten in Bloomsbury (von Rose Macaulay)
Eine Neujahrsfantasie Kann es wahr sein, oder träume ich? Kann es sein, dass ich, als ich in der tiefsten Totenstille der Nacht (falls die Nacht jemals tot ist) über den Tavistock Square fahre, auf der Straße vor mir eine Herde Elefanten erkenne? Groß, grau, seelenruhig, begleitet von einem Mann mit einem biegsamen Stock, meine ich, […]
Lese- und Lebenszeit
„Cox, oder: Der Lauf der Zeit“ Die Zeit: eine Klippe, an der noch jeder Denker gescheitert ist, und das obligatorische Augustinus-Zitat trifft diese frustrierende Erfahrung am besten, es geht so: Was ist also die Zeit? Wenn mich niemand darüber fragt, so weiß ich es; wenn ich es aber jemandem auf seine Frage erklären möchte, so […]
Weihnachtsgeschichten, französisch und irisch
Dann las ich, eher zufällig noch zwei weitere Weihnachtsgeschichte, wohlgewählte Geschenke von Freunden. Die eine war eine Maigret-Geschichte (Weihnachten bei den Maigrets, 1950), und eigentlich mag ich Maigret auch nicht so gern, er ist aber nicht so schlimm wie Pan Tau. Man soll ihn auch nicht mögen, man mag ja auch Ebenezer Scrooge nicht. Maigret […]
Neue Weihnachtsfilme braucht das Land?
In den Medien wird alle Jahre wieder in der Vorweihnachtszeit das Fehlen neuer überzeugender Weihnachtsfilme beklagt. Nun ist es ja nicht so, dass man jedes Jahr einen neuen Weihnachtsfilm braucht, es ist ja gerade die Wiederholung, die man an Weihnachten schätzt. Und deshalb gibt es natürlich die unsterblichen Favoriten, die man gut mit alten Freunden […]
Die Mutter von Frankenstein
Zu Mary Wollstonecraft-Shelleys Roman Frankenstein, oder der Neue Prometheus Mary Shelleys eigene Mutter, Mary Wollstonecraft die erste, war eine emanzipierte Frau gewesen in einer Zeit, wo das wirklich noch nicht selbstverständlich war. Geboren noch mitten in der Blütezeit des aufklärerischen Zeitalters, durchlebte sie wirre Jugendjahren mit Reisen quer durch Europa (pünktlich zur Revolution war sie […]